Liebenzeller Mission

bejahte sein politisches Vorgehen. Ernst Buddeberg sah in Adolf Hitler „auch noch Ende 1944 und Anfang 1945 den von Gott erwählten und gesandten Retter Deutschlands, eine pseudoreligiöse Heilsfigur“. In jedem Schritt Hitlers, auch wenn er offensichtlich gegen geltendes Völkerrecht und Verträge verstieß, sah er eine Führung Gottes. Der Widerstand gegen das NS-Regime im Dritten Reich wurde nur insofern erwähnt, als man Gott für die Bewahrung des „Führers“ bei Attentaten, bei denen auch Christen ihr Leben eingesetzt hatten, in gottesdienstähnlichen Veranstaltungen auf dem Berg dankte: „Wir sind damit einverstanden, dass der Einfluss der Juden in unserm Vaterland in der kräftigsten Weise unterbunden wird. Denn wir glauben, dass das unter dem Fluch des Messiasmordes stehende Volk für die andern Völker der Erde ein Fluch ist.“ „Die Liebenzeller Mission war von Anfang an national eingestellt“, erklärte Ernst Buddeberg im Oktober 1940. Bei vaterländischen Anlässen wurde die Deutschlandhymne „Deutschland, Deutschland über alles“ und das Horst-Wessel-Lied im Missionshaussaal auch von den Schwestern gesungen. Viele traten zu den „Braunen Schwestern“ über, der NS-Schwesternschaft der Nationalsozialisten. Ambivalentes Verhältnis zum Judentum Wir finden bei Heinrich Coerper und Ernst Buddeberg letztlich einen religiös begründeten Antijudaismus mit Übergängen in den rassischen Antisemitismus, so der Kirchenhistoriker Bernd Brandl. Die Liebenzeller Mission trennte sich nicht nur von jüdischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, man verweigerte auch anderen jüdischen, christlichen Ärzten in China aus biologisch-rassistischen Gründen die Mitarbeit. Ein Missionar zeigte die Liebenzeller Mission gar bei der Gestapo an, weil sogenannte „Nichtarier“ angestellt waren. „Das Vorgehen des Staates gegen Juden wurde aus Verblendung und aus vaterländischer Begeisterung weitgehend begrüßt“, so das Fazit von Bernd Brandl. Heinrich Coerpers Verhältnis zum Judentum war letztlich ambivalent, gespalten und widersprüchlich: auf der einen Seite finden sich Antijudaismus und Antisemitismus – dann aber auch positive Aussagen von ihm über das, „was Gott in Zukunft mit seinem Volk tun wird.“ Missionar Heinrich Witt (1871–1959), der damalige Leiter der Liebenzeller Mission in China, brachte am 12. Juni 1934 das Schweigen der Liebenzeller Mission zu den immer sichtbarer werdenden Verbrechen der Nationalsozialisten so auf den Punkt: „Es ist am besten, man hält sich im Hintergrund und drückt sich durch, so gut man kann, wie Jung-Stilling für die Zeit vor dem Auftreten des Antichristen empfiehlt.“ Es ging vor allem darum, das Werk durch die schwierigen Zeiten unbeschadet hindurch zu manövrieren, um eigenständig zu bleiben. Kein Eingeständnis von Fehlern Es finden sich im Archiv der Liebenzeller Mission keine Hinweise auf Gräueltaten des NS-Regimes. Nach dem Zweiten Weltkrieg vernahm man kein Wort der Reue und Buße darüber, auch kein Eingeständnis, nicht einmal eine Andeutung von Fehlern, so Helmut Egelkraut in seiner umfassenden Studie. Ernst Buddeberg hatte im Hinblick auf das Stuttgarter Schuldbekenntnis der Evangelischen Kirchen vom 19. Oktober 1945 mit den Worten reagiert: „Ein solches Schuldbekenntnis kommt ja für uns nicht in Betracht.“ Claudius Schillinger „Wir sind erschrocken darüber, dass auch die Liebenzeller Mission der Verführung des NS-Regimes erlegen ist und es damit zu keinem klaren christlichen Bekenntnis und zu Versäumnissen im praktischen Handeln kam. Es ist bedrückend, dass man in Adolf Hitler den von Gott gesandten und bestätigten Führer sah und ihm gegenüber eine völlig unkritische Haltung einnahm … Wir sind entsetzt über die geistlich theologische Bewertung des jüdischen Volkes als „ein Fluch für die Völker“, der damit verbundenen Haltung und dem Unrecht und Schaden, den jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger erlitten. Wir bitten voller Scham um Entschuldigung für die öffentlichen Äußerungen der damaligen Leitung … Wir bitten um Vergebung dafür, dass die damalige Leitung Mitarbeiter angewiesen hat, zukünftig keine jüdischen Ärzte mehr aufzusuchen, und dass man sich in Einzelfällen von gläubigen christlichen Mitarbeitern jüdischer Abstammung distanzierte und ihnen nicht die Hilfe zuteil hat werden lassen, die der Liebe Christi gemäß gewesen wäre … Wir bedauern zutiefst, dass die Liebenzeller Mission aus Sorge um den Fortbestand der Arbeit und der Versorgung der Missionare geschwiegen hat, wo sie hätte ihre Stimme erheben müssen … Wir wollen aus den geschichtlichen Erfahrungen lernen und uns selbstkritisch fragen, wo wir heute in ähnlicher Weise in Gefahr stehen, dem Zeitgeist zu erliegen … Wir leben von seiner Barmherzigkeit und Vergebung. Deshalb spielen wir uns nicht zum Richter unserer Vorgänger und Väter auf. Wir bitten aber alle, denen wir oder unsere Vorgänger in der Verantwortung für das Werk der Liebenzeller Mission die notwendige Hilfe und Unterstützung versagt haben, die unter politischen Druck gesetzt worden oder zu Schaden gekommen sind, um Vergebung.“ www.liebenzell.org/files/epaper/ stellungnahme_komitee/fb/ Beim Pfingstmissionsfest 2015 hingegen bekannte die Leitung der Liebenzeller Mission nach einer jahrelangen Recherche öffentlich: 15 Start im Monbachtal O Die Liebenzeller Mission übernimmt vom „Christlichen Verein für Jugendwohlfahrt“ das Monbachtal mit der neuen Bezeichnung „Freizeit- und Bibelheim Monbachtal“. Herzlich willkommen, Bruder Wang! O Die Adressverwaltung auf dem Missionsberg wird von Karteikarten auf EDV umgestellt. Der erste Computer auf dem Missionsberg wird scherzhaft „Bruder Wang“ genannt. Start in Sambia O Beginn der Missionsarbeit in Sambia. In den 80er-Jahren wächst die Anzahl der Missionsländer deutlich, besonders in Afrika. Heute gehört Sambia zu den Ländern mit den meisten Liebenzeller Missionaren. 1975 1981 1985

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