Liebenzeller Mission

Die Missionsarbeit steht laut Experten vor der größten Umwälzung in der Geschichte. Welchen Veränderungen stehen wir gegenüber? Im Blick auf die Missionsgeschichte befinden wir uns in der Tat in epochalen Veränderungen. Die weltpolitischen, gesellschaftlichen, religiösen, kirchlichen und weltmissionarischen Veränderungen unterstreichen, wie sehr wir herausgefordert sind. Aus bescheidenen Anfängen der protestantischen Missionsbewegung im 18. Jahrhundert sind im 21. Jahrhundert im globalen Süden große Kirchen geworden. Ihre Vitalität und Mitgliederzahl überragen die europäische Christenheit bei Weitem. Heute erleben wir fast überall in Europa einen Niedergang der (Volks)Kirchen. Dies liegt an der Säkularisierung, Individualisierung und Pluralisierung. Die Missionsarbeit nimmt dagegen außerhalb der westlichen Welt dynamisch zu. Die amerikanische Soziologin und Missionsgeschichtlerin Gina A. Zurlo hat hochgerechnet, dass in 15 Jahren 77 Prozent der Christen weltweit im globalen Süden wohnen werden. Der Schwerpunkt der Weltchristenheit hat sich verlagert. Folglich wird Deutschland beziehungsweise Europa zunehmend zum empfangenden Land oder Kontinent. Missionare aus dem Ausland, vor allem aus der Zweidrittelwelt, werden dazukommen. Diese haben eine große Leidenschaft, unser entkirch- lichtes und säkulares Europa mit dem Evangelium zu erreichen. Damit geschieht Missionsarbeit heute von überall nach überall und von vielen Zentren aus. Sie ist schon lange keine Einbahnstraße mehr. Was bedeutet diese Verschiebung für eine klassisch-westliche Missionsorganisation wie die Liebenzeller Mission? Es bedeutet, dass wir uns zu verändern und die Chancen zu ergreifen haben, die jeder Umbruch mit sich bringt. Es gilt, unsere Rolle und unser Selbstverständnis zu klären; auch unsere Strategien. Der Bedarf an westlichen Missionaren in vielen klassischen Einsatzländern verändert sich. Einheimische Kirchen haben selbst eigene Strukturen entwickelt und arbeiten selbstständiger. Manches von dem, was sich in jahrhundertelanger Praxis bewährt hat, ist nicht mehr nötig. Einheimische Kirchen und lokale Gesundheits- und Bildungsinstitutionen nehmen die Aufgaben wahr, die anfänglich von Missionsgesellschaften übernommen wurden. Noch herausfordernder ist, dass der Missionsdienst in einigen westlichen Kirchen selbst infrage gestellt wird. Für die Zukunft kann das bedeuten, dass manche Arbeitsformen und -zweige klassischer Missionsgesellschaften aufgegeben werden sollten. Gemeinsam mit lokalen und anderen Partnern können neue Wege gegangen werden. Was bedeutet das konkret für die Liebenzeller Mission? Ein einfaches „weiter so“ verbietet sich - an-gesichts der aktuellen Lage. Als Missionswerk werden wir uns stärker zu einer empfangenden Mission in Deutschland entwickeln. Das bedeutet: Mehr Mitarbeiter aus dem Ausland oder mit Migrationshintergrund werden in unseren bisherigen oder neuen Arbeitsbereichen eingesetzt. Wir benötigen diese Internationalisierung, durch die wir bunter und vielfältiger werden. Außerdem werden wir noch stärker die Zusammenarbeit mit lokalen Partnern, aber auch mit sendenden Ortsgemeinden, forcieren. Die Fähigkeit, solche Partnerschaften aufzubauen, wird ein entscheidender Faktor für die künftige Arbeit sein. Unsere Sendungsmodelle werden von mehr Vielfalt geprägt sein. Das betrifft auch individuelle Anstellungsmodalitäten und die Möglichkeiten der (ehrenamtlichen) Mitarbeit. Neue Wege gilt es also mit viel Experimentierfreude und Glaubensmut anzugehen. Das trifft auch auf die technischen Entwicklungen und die damit zusammenhängenden Möglichkeiten zu. Angesichts allen Wandels gilt für uns nach wie vor: „Everyone. Everywhere: Gottes Liebe gilt allen. Überall!“ Sie drängt uns; zu den Nahen und Fernen. Europa wird dabei zum weltmissionarischen Brennpunkt Nr. 1. Welche Herausforderungen siehst Du in der zunehmenden Migration? Die weltweite Migration wird weiter wachsen. Wir stehen möglicherweise erst am Anfang einer großen Völkerwanderung. Bereits in der nächsten Generation erwarten wir eine Verdoppelung der Bevölkerung Afrikas. Eine direkte Folge der Migration stellt die zunehmende Urbanisierung dar. Die Bevölkerungsexplosion in den weltweiten Mega-Citys schreitet unaufhaltsam voran mitsamt den Problemen, die diese Entwicklung mit sich bringt. In diesen Metropolen werden neue missionarische Initiativen und Gemeindegründungen benötigt. Es gilt, Millionen hochmobiler Menschen zu erreichen, von denen viele ihre kulturellen Wurzeln verloren haben. Vor allem Migrationskirchen und -gemeinden stellen eine Möglichkeit dar, in diesen sozialen Brennpunkten zu Ankerpunkten für Minderheiten zu werden, aber auch für Geflüchtete und Vertriebene. In der Konsequenz wird der Umgang mit Migranten und Geflüchteten überhaupt zu der globalen Aufgabe für die Missionsarbeit im 21. Jahrhundert. O 21 Dreifach-Katastrophe in Japan O Nach der dreifachen Katastrophe in Japan mit Tsunami, Erdbeben und Havarie des Atomkraftwerks in Fukushima startet die Liebenzeller Mission einen der größten Hilfseinsätze in ihrer Geschichte. Mehrere Hilfsteams aus Deutschland helfen im Tsunami-Gebiet mit, im Freizeitheim in Okutama werden Flüchtlinge aus Fukushima aufgenommen. Start der Hochschule O Die Internationale Hochschule Liebenzell (IHL) wird gegründet und erhält die staatliche Akkreditierung. Sie löst damit das Theologische Seminar der Liebenzeller Mission ab. Theologische Ausbildung und Weltmission sind seit Gründung der Liebenzeller Mission unmittelbar miteinander verbunden. Rektor der IHL ist Prof. Dr. Volker Gäckle. 2011 2011

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