MISSION weltweit – Ausgaben 2015
DArUm GeHt’S JApAn 12 Oder kommt es daher, dass selbst die größten Krisenherde und Probleme in Prozentzahlen, Grafiken und Analysen dargestellt werden? Neulich kaufte ich mir ein Buch mit dem Angst erregenden Titel: „Das MegaErdbeben – wann kommt es?” Ich war sehr gespannt auf den In- halt, aber nach wenigen Seiten erstaunt: Mit vie- len Daten und Darstellungen wurde erläutert, wie weit man in der Erdbebenforschung schon gekommen sei und wie viel besser die Vorhersa gen geworden seien. Das Buch behandelte nicht nur das nächste erwartete MegaErdbeben, sondern auch verstärkte Anzeichen eines mög lichen Ausbruchs des Vulkans Fujisan. Auch das Erdbeben vom März 2011 war absehbar ge wesen. Fachleute hatten die Verschiebung der pazifischen Erdplatte beobachtet und wussten, dass diese Verschiebung Spannung aufbaut. Wenn man in Japan allerdings sorgfältig hin schaut und hinhört, offenbart sich sehr viel Angst. Und diese Angst hat Folgen. Dazu ein Bericht von Pastor Wakai aus unserer Nachbarstadt: „Ich wusste, dass durch den Reaktorunfall im Atomkraftwerk Fukushima die Strahlenwerte auch bei uns in der 200 Kilometer nördlicher gelegenen Präfektur IwateKen stark gestiegen waren. Aber dass sie so hoch waren und ausge rechnet um unsere Kirche ein ,hot spot ’ (stark radioaktiv verseuchte Stelle) sein sollte, damit hatte ich nicht gerechnet. Meine Frau dagegen hatte viel früher reagiert. Einen Monat nach der Katastrophe begann sie, Bücher über Strahlen- belastung zu lesen. Sie hörte sich Vorträge an und verschlang Informationen im Internet. Sie diskutierte mit der Leitung des Kindergartens, den unser Sohn besucht, und ging bis zum Stadt- rat, um über das Strahlenproblem zu sprechen. Ich musste Buße tun und dies auch aussprechen Anfangs war ich gegenüber meiner Frau sehr hartherzig und kühl. Während sie forderte: ‚Es muss etwas getan werden, wir sollten evaku ieren’, sagte ich nur: ‚Beruhige dich! Lass dich nicht durcheinander bringen’ oder ‚Wo ist dein Glaube?’ Als meine Frau schließlich mit Tränen im Gesicht unseren Sohn in die Arme nahm, wurde ich stumm und bereute meine unbe dachten und unsensiblen Worte. Ich sprach von Glauben, nahm aber die Realität und den Ernst der Lage lange nicht wahr. Sie musste sich ein- sam und niedergeschlagen gefühlt haben, weil sie sich von mir nicht wirklich verstanden fühlte. Ihre starke Überzeugung: ,Es muss alles Mögli che getan werdenʼ, bewegte mein Herz. Allmäh- Gerd und Heike Strauß arbeiten seit 1996 in Japan, jetzt unter Betroffenen der Dreifachkatastrophe des 11. märz 2011. Vor der Ausbildung am theologischen Seminar der Liebenzeller mission war Gerd kfzmechaniker und in der Gemeinschaftsarbeit tätig. Heike ist Hotelfachfrau. ihre drei kinder leben im Schüler heim in nakamachidai. „Wer für andere Verantwortung trägt, die ohne ihn hilflos wären, darf nicht fliehen.” mArtin LUtHer Hier dramatisiert man nicht Angst ist kein öffentliches thema in Japan. man spricht über familiäre Sorgen, politische Sorgen, wirtschaftli che Sorgen, und dass man Fukushima nicht mehr in den Griff bekommt. Aber alles in einem relativ gelassenen ton. ob die Japaner weniger Angst haben, weil man hier nicht dramatisiert? FoToS: gErd STrauSS, FaMiLiE Wakai
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