MISSION weltweit – Ausgaben 2015
darum geht’s frankreich 6 Es ist zunächst die tief verwurzelte Prägung durch die römisch-katholische Kirche. Unzäh- lige Kirchen, Klosteranlagen und Kathedralen weisen auf eine Jahrhunderte alte Tradition hin, die landläufig für „die christliche“ gehaltenwird. Da überrascht es nicht, wenn einbetagter Priester ausruft: „Ein Protestant? Sie sind der erste, dem ich in meinem Leben begegne!“ Daneben charakterisiert sich die französische Gesellschaft durch ih- re „laïcité“. Seit 1905 ist die Tren- nung von Staat und Religionen ge- setzlichverankert (undgewährt da- mit auch Letzteren gleiche Rech- te!). Staatsbeamte und Verwal- tungsangestellte haben in Sachen Glauben „strikte Neutralität zu be- wahren“, selbst Schüler dürfen kei- ne „auffälligen religiösenZeichen“ tragen, ganz gleich, ob es ein muslimisches Kopf- tuch oder ein christlich bedrucktes T-Shirt ist. Eine erschwerte Arbeit Es ist deshalb für evangelische Christen in Frankreich nicht einfach, ihren Glauben zu le- ben und andere dazu einzuladen. Auch die Ar- beit eines Gemeindegründers wird bald von der einen, bald von der anderen Seite erschwert. Viele ältere Menschen wehren im Gespräch so- fort ab: „Ich bin katholisch“ , auch wenn sie gleich hinzufügen: „aber nicht praktizierend“ . Neuesten Umfragen zufolge gehen nur 4,5 Prozent der Be- völkerung jeden Sonntag in die Kirche. Unsicher- heit und Misstrauen, nicht zuletzt seitens der offiziellenGeistlichkeit, prägten lange das gegen- seitige Klima, in dem sich kleine evangelische Gemeinden nur lang- sam entwickeln konnten. Ebenso engt der fehlende Zugang zu Schulen, Krankenhäusern und Altenheimensowiederwiederkeh rende Vorwurf des „Proselyten- Machens“* alle Anstrengungen ein, das Evangelium weiterzuge- ben. Es gibt selbst Versuche, den Glauben in die Privatsphäre zu- rückzudrängen. Aus Gründen der „laïcité“ entschuldigte sich eine Unterpräfektin, am evangelischen Gottesdienst nicht teilneh- men zu können. Aber sie war am Feiertag den Honoratioren der Stadt in die Messe gefolgt … Eine unvergleichliche Mobilisierung Vor diesem Hintergrund heben sich die jüngs- ten Ereignisse unseres Landes umso deutlicher ab. Im März 2014 fand in Paris die größte De- monstration der Geschichte Frankreichs statt. Knapp eine Million Menschen gingen in der „Manif‘ pour tous“ (Die Demo für alle) gegen den Gesetzentwurf einer „Ehe für alle“ auf die Straße. Erstmals marschierten katholische, pro- testantische, aber auch nicht religiöse Bürger Seite an Seite. Angesichts des ethischen Damm- bruchs sprach die Französische Evangelische Al- lianz (CNEF) von einem „Krisenbündnis“. Nach dem Attentat auf das Satiremagazin Charly Hebdo und den jüdischen Supermarkt Anfang des Jahres hielt ganz Frankreich den Atem an. Das CNEF reagierte unverzüglich mit einem Kommuniqué, verurteilte das Blutvergießen, bekannte sich zum Recht auf „Freiheit“ und erinnerte an deren Grenzen, die sich im Respekt (Anders-)Gläubigen gegenüber äußert („Brüder- lichkeit“). Auch die christlichen Minderheiten wollen mit „Gleichheit“ behandelt werden! Norbert und Susanne Laffin leben seit 1988 in Frankreich, haben sechs, zum Teil erwach- sene Kinder, und sind seit 1990 in der Gemeindegründung und dem Gemeindebau in der normannischen Bischofs- stadt Coutances tätig. Norbert engagiert sich darüber hinaus überregional in der Evange- lischen Allianz. Er hat nach dem Abitur die Ausbildung am Theologischen Seminar der Liebenzeller Mission absolviert. Susanne ist Krankenschwester. Selbst Schüler dürfen keine „auffälligen religiösen Zeichen“ tragen, ganz gleich, ob es ein muslimisches Kopftuch oder ein christlich bedrucktes T-Shirt ist. Libre de le dire Dieser Einblick in unser westliches Nachbarland zeigt eine widersprüchliche Realität. Wer in Frankreich lebt, dem fallen rasch zwei Gegebenheiten auf. Die beiden paradox scheinenden Merkmale lassen sich aus der bewegten Geschichte der „Grande Nation“ ableiten und sind „zwei Seiten derselben Medaille“. * Proselyten machen = für einen Glauben oder eine Anschauung werben Licht und Salz in Frankreich Foto: Norbert Laffin
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