MISSION weltweit – Ausgaben 2015

24 Für meinen Beitrag habe ich den Titel „Als Christ in der Politik – Anfechtung und Hoffnung“ gewählt. Es geht mir darum, das Thema realistisch und nicht idealistisch darzustellen – also nicht darum, nur die angenehmen Seiten zu beleuchten. Ich möchte mich auch den Schwierigkeiten zuwenden, die einem als Christ in politischer Verantwortung begegnen. Soll sich ein Christ politisch engagieren? Zunächst möchte ich auf die Grundfrage eingehen, die mir im- mer wieder gestellt wird: Soll sich ein Christ eigentlich politisch engagieren? Auf diese Frage lässt sich sehr eindeutig mit einem sehr bekannten Vers aus Jeremia 29 antworten, wo es heißt: „Su- chet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe lassen wegführen, und betet für sie zum HERRN; denn wenn’s ihr wohlgeht, so geht’s auch euch wohl.“ Gott richtet diese Aufforderung an sein Volk Israel, das sich in einer fremden Stadt in einem fremden Land in Gefan- genschaft befindet: „So spricht der HERR Zebaoth, der Gott Israels, zu allen Gefangenen, die ich habe von Jerusalem wegführen lassen gen Babel“ (Jeremia 29,4). Wenn Gott also das Volk Israel in der Gefangenschaft auffordert, „der Stadt Bestes“ zu suchen, wie viel mehr müssten wir uns von dieser Aufforderung Gottes angesprochen fühlen, wenn es um das Beste unserer Stadt, unseres Landes geht? Also um die eingangs gestellte Frage – Sollen sichalleChristenpolitisch engagieren? – gleich zu beantworten: eindeutig ja. In welcher Form und in welchem Umfang sich dieses Engage- ment ausdrückt, kann und muss allerdings of- fen bleiben. Fest steht für mich aber, dass dies ein aktiver Prozess ist. „Suchet“ ist eine Auffor- derung, die zum Aktivwerden anhält. Es heißt nicht „verhaltet euch still und wartet ab,“ son- dern „suchet“. Es ist heute schon nicht mehr selbstverständlich, dass selbst akademisch ge- bildete Menschen sich über Politik und Gesellschaft auf kommu- naler, Landes- oder Bundesebene informieren. Es kann also schon ein nicht selbstverständliches politisches Engagement sein, sich über Politik und Gesellschaft auf dem Laufenden zu halten. Sollen wir uns als Kirche beziehungsweise als Christen aber auch in politische Diskussionen, in Themen, die die Gesellschaft bewe- gen, einbringen? Auch hier vonmir ein eindeutiges Ja. „Suchet der weiterdenken >> gastbeiträge von volker kauder und ingo rust Sich dieses Plans und des eigenen Wegs ständig neu zu vergewissern, ist eine Daueraufgabe für uns als Christen – gleich an welche Stelle uns unser Herr im Augenblick gestellt hat. Als Christ in der Politik– Anfechtung und Hoffnung Als Christ bin ich gegen Abtreibungen, außer im Fall einer Vergewaltigung. Als Politiker muss ich erkennen, dass es für diese Haltung in der Gesellschaft keine Mehrheit gibt. Wir sind keine christliche Republik, in Deutschland sind Kirche und Staat weitgehend getrennt. Wenn ich politische Verantwortung ernst nehme und mich in die Gesellschaft einbringe, kann ich darauf hinarbeiten, die Dinge so zu verändern, dass möglichst viele Abtreibungen vermieden werden. Ich kann mich dafür einsetzen, dass die Beratung und die Hilfe für betroffene Frau- en verbessert werden. Und ich kann für meine Überzeugungen werben. Selbstverständlich ist es in Fällen, in denen es um Leben geht, irri- tierend, überhaupt das Prinzip einer Mehrheits- entscheidung zu akzeptieren. Dennoch ist es aus meiner Sicht keine Lösung, sich dem Mit- wirken in der Welt zu verweigern, nur um zu vermeiden, sich selbst schuldig zu machen. Das ist vielleicht eine das eigene Gewissen beruhi- gende Perspektive, aber keine christliche. Wir können es uns nicht zu einfach machen. Eine „christliche“ Politik gibt es nicht, einfach alleine schon deshalb, weil es keine einfachen und endgültigen Antworten auf die komplexen Fragen und Herausforderungen der Welt gibt. Meine Partei und ich in ihr versuchen aber, Politik auf der Grundlage des christlichen Men- schenbildes zu gestalten. Die für Christen urtümlichste Form, Verantwor- tung in der Gesellschaft und der Politik zu über- nehmen, ist damit allerdings noch gar nicht an- gesprochen: Das Gebet, die Bitte an Gott selbst. Wir müssen als Christen mehr auf die Kraft des Gebets vertrauen. Als ich 2011 das damalige Oberhaupt der koptischen Christen in Ägypten, Papst Schenuda, besuchte, fragte ich ihn, was wir für die Christen in Ägypten tun könnten. Seine Antwort lautete: Beten Sie, und glauben Sie an die Kraft des Gebets! Und so hoffe ich, dass auch aus dem gemeinsamen Gebet der bei- den Staatsmänner aus Israel und Palästina mit dem Papst an Pfingsten 2014 etwas Positives erwachsen kann. Das Gebet ist ein mächtiges Instrument aller Christen, das sie einen kann, und das ihnen Zuversicht schenkt. Christen brauchen ihre Überzeugungen nicht zu verbergen und sie dürfen sie der Welt auch nicht vorenthalten – sie werden gebraucht, sie sollten und müssen Verantwortung überneh- men. Auch wenn sich viele Fragen nicht einfach lösen lassen, müssen wir uns ihnen stellen. Das Salz in der Suppe, das „Salz der Welt“ , wie es uns Christus in der Überlieferung der Bergpre- digt auf unseren Weg durch die Welt mitgibt: Christen dürfen sich der Welt nicht verweigern. Wir können die Welt verändern, wenn wir uns nur einmischen! l Gast- beitrag von Ingo Rust

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