MISSION weltweit – Ausgaben 2015

21 WEITERDEnKEn >> GAStBeitrAG Von Dr. kLAUS eickHoFF Dann kam die Angst Irgendwann wurde es eng. Der bergende Leib wurde zu klein. Wir bekamen Enge zu spüren. Enge erzeugt Angst. Als wir aus der bergenden Hülle hinausgestoßen wurden, haben wir unsere erste erdrückende Erfahrung gemacht,musstendurch eine Enge, die beklemmend war. Am Anfang, als wir das Licht der Welt erblickten, stand das Erschrecken. Da war der gellende Schrei. Die gesamte kleine Existenz des neuen Menschen war in Aufruhr, eine Explosion der Gefühle, ein Schnappen nach Luft, ein Ringen um Leben. Auf einmal war alles anders als gewohnt. Es durfte nicht so bleiben wie zuvor. Plötzlich hieß es: heraus, aus der Enge in die Weite. So notwendig das war, für das kleine Wesen bedeu- tete es die erste Erschütterung. Darum der durchdringende, aber wichtige Schrei. Er ist nicht nur Angstschrei, sondern der so not- wendige erste Lebensschrei. Er ist wie ein goldener Schlüssel, der die Tür zurWeite öffnet. Luft kommt in die Lunge und durchströmt das kleine Wesen. Es atmet sich in eine neue Existenz hinein. Gerade geboren, hatten wir schon Enge erlebt und Angst gehabt. Die Angst verliert sich nie mehr völlig. Sie begleitet uns wie eine ständige Hintergrundmusik, die einmal leiser ist und dann wie­ der lauter. Sie gehört zu unserem Dasein. Das Erste aber war die Geborgenheit, die Wärme, der liebevolle Herzschlag, die Signale: Du bist unaussprechlich geliebt. Wenn wir dann die Welt verlassen, wird es noch einmal sehr eng. Dann steht sie vielleicht wieder da, die Angst, und will nach uns greifen, will uns angreifen. Wohl dem, der dann im Tiefsten unangreifbar ist! Das können wir alle sein, unangreifbar, unzer­ störbar. Weil wir es alle sein können, müssten wir keine Angst haben. Es gibt leider genug davon Zwischen Anfang und Ende des Lebens gibt es aber viele Ängste, die auf uns einwirken. Wie gehen wir damit um? Müssen wir vor Angst kopflos werden? Nein, niemals! Was aber mache ich, wenn Ängste mich beherrschen? Es gibt leider genug davon: Die Angst vor dem Unglück, das über uns kommen kann. Angst vor dem Zerbrechen der Ehe. Vor dem Tod eines geliebten Menschen. Vor der Fehlentwicklung der Kinder, vor Arbeitslosigkeit oder be­ stimmten Personen. Viele haben Angst vor Menschen. Das drückt sich in Sätzen aus wie: „Was denken die Leute?” Es gibt Angst vor den Folgen böser Taten, die wir uns geleistet haben. Gewissens­ angst. Die Angst vor Krankheit, vor Versagen im Beruf, Angst vor Vorgesetzten. Vielen graut vor der Einsamkeit im Alter, sie fürch­ ten das Sterben, den Tod. Manche haben auch Angst vor Gott. Es gibt Leute, die so sehr von Ängsten geplagt werden, dass sie in angstfreien Momenten schon wieder Angst vor der Angst haben. Albert Camus hat gesagt, dass das 20. Jahrhundert das Jahr­ hundert der Angst sei. Ich denke, dass es das 21. Jahrhundert nicht minder ist. Aberglaube, Wahrsagerei, Sektenwesen und Horoskope blühen auf dem Boden unserer Ängste – das mutet an, als lebten wir noch im Mittelalter. Viele treten auf anderen Wegen die Flucht an: Sie fliehen in den Rausch. Alkoholkrankheit ist oft die Folge von Ängsten. Wir wollen das mit Barmherzigkeit sehen. Andere fliehen in die Arbeit, um sich abzulenken, um zu vergessen. Die größten Angstmacher in unserer Wohlstands­ gesellschaft sind jedoch weniger Existenz- als vielmehr Beziehungsprobleme. Wir befürchten, Ansehen und Wertschätzung anderer zu verlieren. Solche Angst hat mit den Menschen zu tun, zu de- nen wir eine maßgebliche Beziehung haben. Den Ehepartner und Kinder möchte ich nicht verlieren. Allein der Gedanke, dass es passieren könnte, macht mir Angst. Zu den Beziehungsängsten zählt die Befürchtung, nicht geliebt zu werden. Es ist, als suchten wir immer wieder nach der verlorenen Geborgenheit, in der wir einmal waren. Wir wollen erneut verschmelzen, wollen eins sein mit Menschen, die wir lieb haben. Alles, was unsere Ursehnsucht bedroht, macht uns Angst. Es ist ratsam, die eigene Angst wahrzunehmen Gestehen Sie sich ruhig ein: Ich habe Angst vor morgen, vor einer bevorstehenden Aus­ einandersetzung, vor einer Prüfung, vor einer Begegnung oder Angst vor den Folgen meines Tuns. Mit Ängsten konfrontiert haben wir zwei Möglichkeiten: Wir können versuchen, vor ihnen zu fliehen – in die Arbeit, Ablen- kung, wechselnde Beziehungskisten. Manche verziehen sich ins Schneckenhaus des eigenen Ichs. Derartige Verdrängung ist aber keine angemessene Behandlung der Angst. Die bessere Möglich­ keit besteht darin, der Angst zu begegnen. Als ich ein kleiner Junge war, wohnten wir in einer Siedlung. Gegenüber hatte Familie Pepper ihr Haus. Sie besaßen einen Dackel und der hieß Fips. Der war vielleicht ein Ekel, kann ich Ihnen sagen. Für mich kleines Bürschlein war Fips ein Ungeheu- er, schrecklich wie ein brüllender Löwe. Er kläffte mich dauernd an. Ich hatte Angst vor ihm. Ich verdrückte mich vor ihm immer wieder. Irgendwann aber reichte es mir. Da drehte ich mich um und kläffte zurück. „Halt’s Maul”, schrie ich und ging mit meinen kleinen Fäusten auf ihn zu. Ich traute meinen Augen nicht: Fips drehte sich winselnd um, zog den Schwanz ein und haute ab. Den Schreck merkte er sich fürs Leben. Er kläffte mich nie mehr widerlich an, bellte nur noch ein wenig, freundlich und höflich. Wenn ich mich recht erinnere, lächelte er dabei sogar ein bisschen. können Sie ihre ängste schon beim namen nennen? das ist wichtig, wenn Sie sie besiegen wollen. kontra Angst

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