MISSION weltweit – Ausgaben 2015
24 Reicht Jesus nicht? Die häufige und auch verständliche Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist: „Ich habe doch Jesus, wozu brauche ich dann den Heiligen Geist so konkret als Beziehungsgegenüber, dazu noch namentlich erwähnt? Reicht Jesus allein nicht?“ Doch, Er reicht. Nur: Jesus und der Heilige Geist sind eben keine gegen einander konkurrierenden Alternativen, sondern eine Einheit. 16 Dass diese Einheit nicht gleichzusetzen istmit Identitätwird anden folgenden Worten Jesu deutlich: „Es ist gut für euch, dass ich wegge- he. Denn wenn ich nicht weggehe, kommt der Beistand nicht zu euch. Wenn ich aber gehe, will ich ihn zu euch senden . ... Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, wird er euch in alle Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selber reden; sondern was er hören wird, das wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen. Er wird mich verherrlichen; denn von dem Meinen wird erʼs nehmen und euch verkündigen“ (Johannes 16,7.13f). Diese „Sendung“ ist im gleichen Kontext zu verstehen wie die Sendung des Sohnes ausgehend vom Vater, von der Jesus wie derholt in Johannes 14–17 spricht. 17 Als Philippus in Johannes 14,8 Jesus bittet: „Herr, zeige uns den Vater und es genügt uns“, antwortet ihm Jesus: „So lange bin ich bei euch und du kennst mich nicht, Philippus? Wer mich sieht, der sieht den Vater! Wie sprichst du dann: Zeige uns den Vater? Glaubst du nicht, dass ich im Vater bin und der Vater in mir?“ Und vielleicht würde eine Bitte heute von uns ähnlich lauten: „Herr, zeige uns Jesus Christus und es ge nügt uns.“ Aber die Antwort vom Heiligen Geist könnte im bibli schen Sinne so lauten: „Wer mich sieht, der sieht Jesus Christus. Glaubst du nicht, dass ich in Jesus bin und Jesus in mir?“ Womit der Glaube steht und fällt Die Kirche und auch der christliche Glaube steht und fällt mit dem Bekenntnis zu Jesus Christus als Gottes Sohn und Retter. Und diese Wahrheit soll auch in keiner Weise angetastet werden. Aber die Frage, ob eine gewisse Geistvergessenheit 18 , die sich schon seit mehreren Jahrzehnten sowohl in der westlichen Theologie als auch in den traditionellen protestantischen Gemeinden verbrei tet hat, 19 die zentrale Glaubensbeziehung zu eben diesem Jesus ChristusineinernichtunerheblichenArtundWeise verkürzt , wird man sich dennoch stellen müssen. Mit dem Wind segeln In einer Ansprache, die ich vor einiger Zeit gehört habe, wurde das Glaubensleben mit einem Ruder boot undSegelboot verglichen.Und ichdenke, dass dieser Vergleich unsere Beziehung zum Heiligen Geist und deren Auswirkungen im Glaubensalltag vielleicht noch einmal besonders deutlich auf den Punkt bringt. Unser Leben ist kein Ruderboot, in dem wir zum unerbittlichen Takt der Auto nomie das Ruder unseres Lebens selber in die Hand nehmenundmitallerKraftineine(hoffentlichrich- tige) Richtung rudern müssen. Nein, unser Leben ist ein Segelboot. Unsere Aufgabe ist es, die Segel zu hissen und zu segeln mit dem „Wind“ (pneu ma), das heißt biblisch: durch die Gnade des Geistes Gottes, der tatsächlich weht, wo Er will. Wenn wir selber rudern müssen, dann ist es auch an uns zu entscheiden, wie lange unsere Kraft rei chen muss, wann wir ruhen dürfen und wohin es gehen soll. Wenn wir uns von dem Geist Gottes bewegen lassen, dann entscheidet dieser, wann Windstille eintritt und damit auch das Aushalten von Ruhe und Stillstehen vonnöten ist. Und es ist wiederum Er, der vorgibt, wann es wieder weitergehen soll, wann ein Rich tungswechsel angesagt ist oder wann wir auf Kurs bleiben müs sen trotz mancher Stürme und Hindernisse. Dies mag uns, die wir in unseren Breitengraden zu Selbstständig keit und Unabhängigkeit erzogen werden, auf den ersten Blick nicht als besonders erstrebenswert erscheinen. Aber an der Fra ge, ob wir die innige Beziehung zum Heiligen Geist und sein Wirken in unserem Leben bewusst und willentlich in Anspruch nehmen oder nicht, entscheidet sich meines Erachtens auch, ob unser Glaube die verheißene Fülle im Leben wirklich auch in der Realität kosten und von dem unermesslich reichen Schatz im Acker auch wirklich im Alltag leben und versorgt werden darf. Richtung und Kraft empfangen ImSegelboot des Glaubens unterwegs zu sein heißt ja, von diesem Geist Gottes ganz bewusst sowohl die Richtung als auch die nötige Kraft für unser Leben und unseren Alltag – sowohl im persönli chen als auch gemeindlichen – zu empfangen. Und vielleicht ist es das, was uns ein Stück weit verloren geht oder gegangen ist, wenn der Heilige Geist für uns und unsere Gemeinden kaum mehr als eine vage, unpersönliche Nummer drei eines schwer verständlichen trinitarischen Dogmas darstellt, und wir ihn nicht mehr als die Person und das Gegenüber bewusst wahr und in An spruch nehmen, nämlich als den Beistand, der von Jesus für und zu uns gesandt worden ist und in dem Er selber als Geist gegenwärtig ist. Nicht mehr im Fleisch als Mensch gewordenes Wort Gottes wie vor 2000 Jahren auf den Straßen von Judäa und Samarien, aber dafür nun im Geist auf der ganzen Welt und ganz gewiss nicht weniger real. WEItERDENKEN >> sONDErBEitrAG VON miHAmm Kim-rAuCHHOLZ an der Frage, ob wir die innige Beziehung zum Heiligen geist und sein Wirken in unserem Leben in anspruch nehmen oder nicht, entscheidet sich, ob unser glaube die verheißene Fülle im Leben in der Realität kosten und von dem unermesslich reichen schatz im acker im alltag leben und versorgt werden darf. 16 Frey, Windbrausen 151, spricht hier von einer differenzierten Einheit. 17 Vgl. Johannes 14,9f.16f.20.24.26; 15,15.21.26; 16,7.13f.27f; 17,35.7f.18.21.23.25; vgl. dazu auch die Parallelität der paulinischen Angaben in Galater 4,6 und 4,4; Römer 8,9.11 und Galater 2,20; Römer 8,10; Römer 8,26 und 8,34 (J. Frey, Windbrausen 139) 18 Vgl. O. A. Dilschneider, Die Geistvergessenheit der Theologie, in: Theologische Literaturzeitung 86 (1961), 261 19 P. Zimmerling, Die charismatischen Bewegungen: Theologie – Spiritualität – Anstöße zum Gespräch, Göttingen 2002, 56, hebt in diesem Zusammenhang auch den „antienthusiastischen Vorbehalt der reformatorischen, insbesondere der lutherischen Theologie“ als Einfluss hervor. Foto: istoCkPHoto / DaViD WiBeRg
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