MISSION weltweit – Ausgaben 2015

mission weltweit 5–6/2015 25 Selbst rudern, Richtung und Tempo bestimmen? Und die Frage, die ich mir ehrlich hier stelle – und zwar als jemand, dem die Christuszentriertheit über alles steht – ist, ob wir gerade mit unserem besten Anliegen verkannt haben, dass eine biblische Christuszentriertheit und Jesusfokussierung von ihrem Wesen und Anliegen her nie ohne den Heiligen Geist ver­ standen und gelebt werden kann. Ob mir deshalb unser Glau­ bensleben so häufig wie ein wohl getaktetes und vertrautes, aber unendlich mühsames Rudern vorkommt, bei dem ich dazu verdonnert bin, selber die Richtung und das Tempo vorzugeben? Und ob der ältere Sohn undBruder aus demGleichnis vomverlorenen Sohn in Lukas 15 sich vielleicht auch so gefühlt haben könnte, wenn er all die Jahre der Arbeit bei sei­ nem Vater mit einer Bitterkeit als Sklavendienst beschreibt, obwohl doch alles, was dem Vater ge­ hört, auch sein eigen war und ist? Nur, dass er es halt nie in Anspruch genommen hat. Warum? Si­ cherlich nicht aus einem unlauteren Motiv heraus. Vielleicht, weil ihm die Arbeit so wichtig war oder der Fleiß, die Sparsamkeit, die Verantwortung oder einfach auch nur das „Anders-sein-Wollen/ Müssen“ als sein jüngerer Bruder ... Der Stellenwert entscheidet Wenn ein Glaubensthema oder ein geistliches Anliegen – ob es nun die Ausübung besonderer Gnadengaben ist oder die Ableh­ nung solcher, ob eine theologisch richtige Erkenntnis oder die Umsetzung in die Praxis, ob das Aufrechterhalten von Traditio­ nen oder das Beschreiten von neuen Wegen – einen Stellenwert zugeschrieben bekommt, der so von der Schrift her nicht bestä­ tigt werden kann, dann findet eine feine, aber nicht minder fata­ le Abweichung statt, die nicht nur die Einheit und Gemeinschaft der Gläubigen angreift, sondern auch den christozentrischen Fo­ kus des Glaubens verlässt. Es geht mir dabei zunächst gar nicht einmal vorrangig um eine richtige oder falsche Überzeugung, sondern um den Stellenwert, der einem Anliegen oder einer Über­ zeugung im Leben eines Gläubigen zugemessen wird. Und dies gilt in beide Richtungen: Sowohl ein zu hoher als auch ein zu niedriger Stellenwert, den wir einem Anliegen beimessen, kann dazu führen, dass Jesus Christus als Zentrum unseres Lebens und Glaubens nicht mehr die Stellung innehat, die ihm zukommt. Christozentrisch, nicht gabenzentrisch Im Hinblick auf den Heiligen Geist und sein Wirken wäre es viel­ leicht wichtig, uns auf beiden Seiten zu fragen, ob die starke Fokussierung auf bestimmte Gnadengaben tatsächlich dem bib­ lischen Zeugnis über das Wirken des Heiligen Geistes entspricht, der eben immer christ ozentrisch und nicht gaben zentrisch wirkt. Und gleichzeitig stellt sich aber auch die Frage, ob ein ebenso konsequentes wie geflissentliches Ignorieren des Heiligen Geistes und seiner Wirksamkeit unserer Beziehung zu Jesus nicht die Le­ bendigkeit und Kraft weitaus mehr entzieht und sie austrocknen lässt als wir es uns bewusst sind. Reichtum in Anspruch nehmen Am Ende des Artikels angekommen merke ich, wie sehr ich mich geirrt hatte, als ich vor Monaten bei der Zusage an die Redak­ Prof. Dr. Mihamm Kim-Rauchholz, verheiratet mit Dr. Manuel Rauchholz, drei Töchter. Mihamm Kim-Rauchholz ist Dozentin im Fach Neues Testament und Griechisch an der Internationalen Hochschule Liebenzell (IHL). Sie ist in Südkorea und Deutschland aufgewach- sen und hat nach dem Abitur in Seoul, Tübingen und Heidelberg evangelische Theologie studiert und im Fach Neues Testament promoviert. Von November 2004 bis 2007 lebte Familie Rauchholz auf den Chuuk-Inseln, von 2009 bis 2010 auf Pohnpei in Mikronesien. Sie arbeiteten in den Gemeinden mit und waren Dozenten am damaligen „Pacific Islands Bible College“ auf der Insel Tol und am „College of Micronesia“ in Pohnpei. Außerdem betrieb Manuel Rauchholz Feldforschungen für seine Promotion in Ethnologie. Als berufstätige Mutter von drei Kindern verbringt Mihamm Kim-Rauchholz ihre theoretische Freizeit am liebsten mit Lesen, Schlafen und Zur-Ruhe-Kommen. Begeistern kann sie sich immer für Studierende, die Theologie mit ihrem ganzen Sein lernen und leben. weiterdenken >> sonderbeitrag von mihamm kim-rauchholz tion meinte, gut ausgerüstet zu diesem Thema einen Beitrag schreiben zu können. Selten ist es mir als Theologin so schwer gefallen, die vermeintlich richtigen Worte zu finden. Und auch jetzt noch bleibt der Eindruck, dass es ein einziges „Herantasten“ an ein Thema ist, das mir so auf dem Herzen brennt, weil ich denke, dass hier ein ungemein wichtiges Potenzial liegt: Ob wir als Gemeinde Jesu einen gesunden und funktionierenden Leib haben, wo alle Glieder mit und unter Jesus Christus als ihrem Haupt mit ihren jeweiligen Gaben und Aufgaben Gott dienen und einander aufbauen. Oder ob un­ sere Gemeinden sich selber verkrüppeln im geistli­ chen und biblischen Sinne und trotz des Reichtums und der Vollkommenheit, die ihnen Gott geschenkt und auch aufgetragen hat, diese nicht in Anspruch nehmen, sondern lieber als Gemeinde ohne Hände, ohne Füße, ohne Augen, ohne Ohren oder Nase ihr Dasein auf dieser Welt fristen. Bereitschaft zum Gehorsam steht vor Erkenntnis Vieles ist zu diesem Thema geschrieben worden. Aber abschließen möchte ich letztendlich mit ei­ ner Erkenntnis, die mir gerade im Umgang mit dem Heiligen Geist wichtig geworden ist: Die Bereitschaft zum Gehorsam steht vor der Erkennt- nis. Alle Erkenntnis, mag sie noch so richtig und er­ beten sein, hat keine Auswirkungen, wenn wir im Herzen eigent­ lich gar nicht bereit sind , das, was uns als Erkenntnis geschenkt worden ist, auch umzusetzen. Oder zumindest es zu versuchen. Unsere biblische Berufung lautet so: Es sind verschiedene Gaben; aber es ist ein Geist . Und es sind verschiedene Ämter; aber es ist ein Herr . Und es sind verschiedene Kräfte; aber es ist ein Gott , der da wirkt alles in allen (1. Korinther 12,4). Gaben, Ämter und Kräfte hören alle irgendwann mal auf, aber das, was Gott in unsere Herzen ausgegossen hat durch den Heili­ gen Geist, nämlich die Liebe Gottes – die bleibt. 20 Sowohl ein zu hoher als auch ein zu niedriger Stellenwert, den wir einem Anliegen beimessen, kann dazu führen, dass Jesus Christus als Zentrum unseres Lebens und Glaubens nicht mehr die Stellung innehat, die ihm zukommt. 20 Vgl. Römer 5,5; 1. Korinther 13

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