19 weiterdenken >> sonderbeitrag von detlef krause mission weltweit 11–12/2016 Hermeneutik, das heißt der Lehre über die rechte Interpretation und das Verstehen der biblischen Texte. Mit der Bibel steht oder fällt der christliche Glaube Heinrich Coerper, Gründer der Liebenzeller Mission, hatte im Rahmen seines Theologiestudiums diese Debatten miterlebt und gesehen, welche desaströsen Ergebnisse die liberale Theologie hervorbrachte. In der Urkunde im Grundstein des Missionshauses hielt er deshalb fest: „[Dies Haus] sei ein Zeugnis gegen den Geist der hoffärtigen Kritik des teuren Gotteswortes …“ Jahrzehnte später verabschiedete das Komitee der Liebenzeller Mission die sogenannten Glaubensgrundsätze, in denen festgehalten wurde: „Die ganze Heilige Schrift Alten und Neuen Testaments ist von Gott eingegeben, unfehlbar und eindeutig, zuverlässig und völlig ausreichend zu unserem Heil. Sie ist als höchste Autorität verbindlich für Glauben und Leben, für Lehre und Dienst. Zum rechten Verständnis der Heiligen Schrift bedarf es der Erleuchtung durch den Heiligen Geist. Jesus Christus und sein Heil ist ihre Mitte, die Heilsgeschichte ihre durchlaufende Linie. Wir lehnen darum jede Bibelkritik ab.“ Ende der 1990-iger Jahre wurde es notwendig, unsere theologische Haltung zur Heiligen Schrift noch einmal zu präzisieren. In einer Mitgliederversammlung wurde die Erklärung „Nicht auf der Schrift, sondern unter ihr“ einstimmig als eine detaillierte Darstellung unserer Stellung zur Schrift verabschiedet. Dementsprechend gilt für uns bis heute: Die Bibel ist Gottes Wort. „Herr, dein Wort, die edle Gabe, / diesen Schatz erhalte mir; / denn ich zieh es aller Habe / und dem größten Reichtum für. / Wenn dein Wort nicht mehr soll gelten, / worauf soll der Glaube ruhn? / Mir ist's nicht um tausend Welten, / aber um dein Wort zu tun.“ So schrieb Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf in einem seiner Lieder vor bald 300 Jahren. Unsere Weltanschauung, unsere Ethik, alles, was Kirche ist und wofür Kirche steht, hat seinen Ursprung und seine Grundlage in der Heiligen Schrift. Es sollte darum niemanden wundern, wenn um die Bibel, ihre Bedeutung und ihre Interpretation über die Jahrhunderte so heftig gestritten worden ist. Die Sichtweisen, was die Bibel ist, bewegen sich zwischen den Polen „ein Buch wie jedes andere“ und „in jedem Buchstaben wörtlich von Gott inspiriert“. Wir sind der festen Überzeugung, dass die Bibel, so wie sie uns jetzt vorliegt, Gottes Wort ist. Sie enthält nicht nur Gottes Wort, sondern sie ist es. Gott hat sich in die „Niederungen“ menschlicher Sprache und Kommunikation begeben, um mit uns ins Gespräch zu kommen. Auch wenn es immer wieder Passagen gibt wie zum Beispiel die Zehn Gebote, in denen den Autoren etwas wörtlich diktiert wurde, ist der absolut größte Teil der Bibel nicht diktiert oder von den Verfassern in einer Art Trance geschrieben worden. „Von Gott her redeten Menschen, getrieben vom Heiligen Geist“ (2. Petrus 1,21). Gott überging nicht ihre Persönlichkeit, ihre Bildung, ihren persönlichen Stil, ihre Kultur und Ausdrucksweise. Nehmen wir zum Beispiel Nathan, der von Gott beauftragt worden war, David auf sein Vergehen hin anzusprechen. Gott gab ihm keine vorformulierten Texte. Nathan überlegte sich seine Vorgehensweise. Er erfand eine Geschichte, spielte eine Rolle vor David und sagte ihm dann Gottes Wort im Hinblick auf sein Verhalten. Im Neuen Testament lesen wir von Lukas, dass er hinsichtlich des Lebens Jesu und seiner Verkündigung eine gründliche Recherche betrieben hatte und auf diesem Hintergrund das Evangelium schrieb (Lukas 1,1-4). Es ist auffallend, dass nur er als Arzt offensichtlich an der Beobachtung interessiert war, dass Jesus nach der Auferstehung auch essen konnte (Lukas 24,41-42). In der strukturierten Weise, in der das Matthäusevangelium geschrieben ist, spiegelt sich wohl der „Buchhalter“ Matthäus wider. Es gibt unzählige Beispiele dafür, dass Gottes Geist Menschen in ihrem Denken, ihrer Sprachfähigkeit, in ihrer Zeit und Kultur leitete, um zu den Menschen zu reden. Darum tritt Gottes Wort in menschlicher Gestalt auf. Wie sollten wir ihn sonst auch verstehen? Die „Menschlichkeit“ des Wortes Gottes macht es aber auch anfechtbar, wie wir es in Debatten immer wieder erleben. Manche Christen möchten das Wort Gottes gern unanfechtbarer und gött- licher machen, als Gott sich entschieden hat aufzutreten. Das führt dann zu intellektuellen Verrenkungen, Beweisketten, Haarspaltereien, Rechthaberei und intellektueller Unredlichkeit, deren Maxime ist: Was nicht sein darf, darf nicht sein. Christen, die mit dieser Haltung auftreten, brauchen ein in sich schlüssiges Denksystem, damit ihr Glaube nicht gefährdet ist – nach dem Motto: Wenn das eine nicht stimmt, dann stimmt alles andere auch nicht. Widersprüche, unerklärbare Gegensätze darf es in ihrer Sicht nicht geben. Aber so ist die Bibel nicht. Sie fordert uns heraus. Einen Löwen verteidigen? Ich wünsche uns frommen Leuten in den „Bibeldebatten“ manchmal etwas mehr Gelassenheit. Damit meine ich nicht, dass wir nicht den Mund aufmachen und widersprechen, wo es nötig ist. Das sollten wir vielleicht sogar deutlicher und mutiger tun. Aber es gilt immer noch: Es ist nicht unsere Aufgabe, den Leuten zu beweisen, dass Gottes Wort sein Wort ist. Dafür haben wir nicht zu garantieren. Dafür sorgt Gott selber. Durch den Propheten Jesaja (Kapitel 55,10–11) lässt er sagen: „Denn gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin zurückkehrt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und lässt wachsen, dass sie gibt Samen zu säen und Brot zu essen, so soll das Wort, das aus meinem Munde geht, auch sein: Es wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende.“Spurgeon (ein bekannter englischer Prediger des 19. Jahrhunderts) soll gesagt haben: „Die Bibel vertei- digen, das ist unnötig. Wer wollte einen Löwen verteidigen?“ Keine Angst, Gott spricht und schweigt nicht (Psalm 50,3). Sein Wort behält seine Kraft unabhängig von unserem hermeneutischen Ansatz, unseren vermeintlichen theologischen Einsichten und persönlichen Ansichten. Er wird sich durchsetzen, und er wird das letzte Wort behalten. Weil die Bibel Gottes Wort ist, ist Es ist nicht unsere Aufgabe, den Leuten zu beweisen, dass Gottes Wort sein Wort ist. Dafür haben wir nicht zu garantieren. Dafür sorgt Gott selbst. die Schrift
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