21 DAS emPfeHlen Wir Prof. Dr. Henning Freund ist Studienleiter m.A. religion und Psychotherapie an der evangelischen Hochschule tabor in marburg und Psychotherapeut in eigener Praxis in Heidelberg Foto: ateLieR aRnoLD / CCViSion Schutzwirkung der Dankbarkeit Dies mag zunächst paradox erscheinen. Wenn wir Dankbarkeit als Teil einer umfassenden Lebenseinstellung verstehen, das Gute im Leben wahrzunehmen und wertzuschätzen, dann taucht zu Recht die Frage auf, was Dankbarkeit mit schwierigen Lebenssituationen oder Krisen zu tun hat. Wofür kann man in diesen Momenten noch danken, und vor allem wem? Die Frage nach dem Adressaten des Dankes ist besonders wichtig. Das Gefühl der Dankbarkeit stellt sich nämlich bevorzugt ein, wenn wir von einer Person ein Geschenk oder eine unverdiente Wohltat erhalten. Ganz gleich also, ob wir Dankbarkeit ohne konkrete Quelle des Guten als allgemeine Lebenshaltung verstehen oder hinter der empfangenen Wohltat einen konkreten Geber wissen: Dankbarkeit scheint vordergründig nur an Gutes und Gelingendes geknüpft zu sein. Der amerikanische Psychologe Neal Krause hat in mehreren wissenschaftlichen Studien gezeigt, dass eine dankbare Grundhaltung schädliche Stressfolgen schwieriger Lebenssituationen für die körperliche und die seelische Gesundheit abpuffern kann. Dazu hat er ältere Menschen aus einem belastenden Wohnumfeld oder mit tatsächlichen finanziellen Schwierigkeiten untersucht und bei ihnen eine Schutzwirkung der Dankbarkeit festgestellt. Dabei machte Neal Krause eine überraschende Entdeckung: Jene Menschen, die häufiger zur Kirche gingen und überzeugt waren, dass Gott einen guten Plan für ihr Leben hat, der durch Schwierigkeiten und Krisen zu einer persönlichen Weiterentwicklung führt, waren insgesamt am dankbarsten. Bei ihnen führte die Dankbarkeit beispielsweise dazu, sie vor einer depressiven Reaktion auf ihre missliche Lebenssituation zu schützen. Dankbarkeit einüben Für gläubige Menschen kann Dankbarkeit gerade in den Herausforderungen des Lebens ein Resilienzfaktor sein, vorausgesetzt, sie fühlen sich in Gottes Hand geborgen und sie befinden sich in der Gemeinschaft mit anderen Gläubigen. Es ist also nicht unerheblich, ob ich eine Quelle für das Gute in meinem Leben kenne oder nicht und ob ich Unterstützung durch Glaubensgeschwister habe oder nicht. Weil Schicksalsschläge unseren Blick vom Guten im Leben abwenden, ist es wichtig, gerade in diesen Zeiten schon auf eine dankbare Grundhaltung zurückgreifen zu können. Wenn wir von unserem Temperament her zu Pessimismus, Sorgen und Grübeln neigen, könnte es lohnend sein, schon in weniger stürmischen Zeiten Dankbarkeit einzuüben. Dies ist also die gute Nachricht: Obwohl Dankbarkeit auch Temperamentssache ist, kann sie wie die anderen Resilienzfaktoren trainiert werden. Wie? Zunächst einmal können wir die „Fairness“ unserer Wahrnehmung trainieren. Normalerweise tendieren wir dazu, die unerfreulichen Dinge in unserem Leben stärker wahrzunehmen. Dabei vernachlässigen wir die vielen Wohltaten unseres Lebens, weil sie uns selbstverständlich geworden sind. Denken Sie nur an die warmeDusche amMorgen, dengefülltenTeller amMittag, die Sonnenstrahlen am Nachmittag und die liebevolle Geste am Abend. Ein Dankbarkeitstagebuch mit einem dankbaren Rückblick vor dem Schlafengehen kann die „Fairness“ unserer Wahrnehmung verbessern. Weiterhin geht es auch darum, dem guten Gefühl der Dankbarkeit, das dabei entsteht, Raum zu geben. Die Psychologie hat herausgefunden, dass wir nicht gleichzeitig schlechte und gute Gefühle haben können. Das Gefühl der Dankbarkeit hilft uns, Angst oder Trauer abzumildern. Wir können auch den Ausdruck von Dankbarkeit einüben. Als Christen können wir das im Gebet und mit vielen Liedern tun, aber auch ein Dankeswort an unsere Mitmenschen oder ein besonderer Dankesbrief können wahre Wunder wirken. Gott in allen Dingen entdecken „Und saget Dank allezeit für alles …“, diese Aufforderung zur Universal-Dankbarkeit von Paulus an die Gemeinde in Ephesus war lange Zeit für mich Überforderung und Ärgernis zugleich. Jetzt, nach längerer Auseinandersetzung mit dem Thema Dankbarkeit, kann ich das als eine Art „Dankbarkeit für Fortgeschrittene“ verstehen. Das Geheimnis dieser Form ist der Versuch einer Dankbarkeit in der Distanz zu meiner augenblicklichen Befindlichkeit und Lebenssituation. Ich versuche quasi, mich und die Welt mit anderen Augen und aus einer anderen Perspektive zu sehen. Für Christen kann dies auch bedeuten, „Gott in allen Dingen zu entdecken“. Aus dieser übergeordneten und wenig ich-zentrierten Perspektive kann ich dankbar sein für mein Dasein, das Dasein meiner Mitmenschen und auch Gottes guten Plan für mein Leben, der auch Verluste und Umwege mit einschließt. Diese Form von Dankbarkeit hat der deutsche Philosoph Dieter Henrich „kontemplative Dankbarkeit“ genannt. Sie ist Bestandteil verschiedener spiritueller Traditionen, zum Beispiel auch der Ignatianischen Exerzitien. Dort heißt es im „Gebet der liebenden Aufmerksamkeit“: „In diesem Schritt geht es darum, Gott in allen Dingen zu entdecken als den Grund der ‚empfangenen Wohltaten’ und ihm zu danken. Was ist mir heute alles geschenkt worden! Gesundheit, Arbeit, Menschen, Begegnungen, Fügungen, Bewahrungen! – ‚Wie gut! DANKE, Herr!’ Mir ist heute auch einiges missglückt, ich habe Scherben geschlagen, ich bin verletzt worden. – Ich darf das vor Gott bringen in dem festen Vertrauen darauf, dass Er es heilen und verwandeln kann. ‚Danke, Herr, dass du aus allem Unheilvollen HEIL machen kannst, dass du Tod in LEBEN verwandeln kannst. DANKE, Herr!’“ (Aus: Willi Lambert, Gebet der liebenden Aufmerksamkeit. Trier, 2007) Ganz gleich, ob wir es lernen, die empfangenen Wohltaten wieder besser in den Blick zu bekommen oder uns in der kontemplativen Dankbarkeit üben, soviel ist sicher: Es wird unser Leben reicher machen – auch in stürmischen Zeiten. ein Dankbarkeitstagebuch mit einem dankbaren Rückblick vor dem Schlafengehen kann die „Fairness” unserer Wahrnehmung verbessern. Foto: PRiVat weITeRDeNkeN >> GAStBeitrAG Von H nninG freUnD Ausführliche informationen zum master-Studiengang „religion und Psychotherapie“ an der evangelischen Hochschule tABor finden Sie unter www.marburger-institut.de
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