MISSION weltweit – Ausgaben 2017

15 JAPAN DARUM GEHT’S MISSION weltweit 7–8/2017 Folgende Erkenntnis ist mir im Laufe der Jah- re mehr und mehr bewusst geworden: Trotz aller Arbeitsfülle und allen Anforderungen habe ich immer ein hohes Maß an Verantwortung für mich selbst. Ein Beispiel: Wie viele freie Tage ich bekomme, kann ich oft nicht selbst bestimmen. Aber was ich daraus mache, liegt meistens in meiner Hand. Und dafür bin ich verantwortlich. Aufeinander achten Die ganzen Jahre in Japan habe ich immer in zwei Teams gearbeitet: im Schülerheim-Team und imMissionars-Team. Und ich habe die meis- te Zeit in einer Wohngemeinschaft mit Kindern und Jugendlichen gelebt. Das ist bis heute ein reiches Übungsfeld zum Thema „aufeinander achthaben“ gewesen. Manchmal ist es mir gelun- gen, den anderen genügend Aufmerksamkeit zu schenken, manchmal nicht. Umgekehrt haben die anderen auch nicht immer meine Bedürfnisse genügend wahrgenommen. Es gab auch Situati- onen, in denen ich viel zu hohe Erwartungen an meineMitmissionare und Vorgesetzten hatte. Bis mir das klar wurde, hatte ich schon manche Ent- täuschung hinter mir. Beim „Aufeinander-Acht- haben“ werden auch wir Missionare schuldig und brauchen Vergebung durch Jesus. Neben allem Misslingen habe ich im Laufe der Jahre viele gute und Mut machende Erfahrungen ge- macht. Wenn ich in wenigen Wochen unser Ja- pan-Team verlasse, bleiben Menschen zurück, mit denen ich teils über viele Jahre hinweg ein gegenseitiges Geben und Nehmen, ein gegen- seitiges Aufeinander-Achthaben gelebt habe. Meine tiefe Überzeugung ist, dass Menschen, die durch Jesus zur Familie Gottes gehören, ein größeres Potenzial haben, wenn es darum geht, füreinander da zu sein. Ob sie dieses Potenzial nutzen, ist eine andere Sache. Missionsgesellschaften sind sensibler Durch meine Tätigkeit im Schülerheim habe ich über die Jahre viele Missionarsfamilien ken- nengelernt. Die Schulbildung macht häufig eine Trennung von Kindern und Eltern erforderlich. Die betroffenen Eltern stehen vor der Herausfor- derung, vieles miteinander in Einklang zu brin- gen: die Bedürfnisse ihrer eigenen Kinder, ihre Verantwortung als Eltern und den Auftrag, den Menschen in Japan an möglichst vielen Plätzen das Evangelium von Christus weiterzugeben. Das ist kein einfacher Balanceakt, und mensch- lich gesehen hat man diesen nie wirklich im Griff. Deshalb sind Missionarsfamilien sehr dar- auf angewiesen, dass Gott sie in ihren Entschei- dungen leitet und sie in der Trennungssituation bewahrt. Neben aller Herausforderung haben Missionarsfamilien aber auch ein Privileg: Sie sind umbetet von vielen Menschen, denen welt- weite Missionsarbeit ein Anliegen ist. Und mei- ne Beobachtung ist, dass Missionsgesellschaften insgesamt mit dem Thema „Bedürfnisse der Fa- milien“ sehr viel sensibler umgehen als Firmen, die ihre Leute ins Ausland schicken. Und wie gehen Japaner mit dem Thema um? Wie allgemein bekannt ist, hat das Leistungs- prinzip einen hohen Stellenwert in der japani­ schen Gesellschaft. Der Wert eines Men- schen wird leider oft an seiner Leistung gemessen. Japaner müssen ihre jewei- ligen Rollen spielen und Erwartungen erfüllen. Dabei haben persönliche Be- dürfnisse keinen hohen Stellenwert. Ich denke an eine Frau aus einem anderen asiatischen Land, die mit einem Japaner verheiratet und Mutter von vier Kindern ist. Von frühmorgens bis spätabends ist sie meistens an sieben Tagen in der Wo-che damit beschäftigt, alles für ihre Kinder und ihren Mann zu tun, damit diese ihre ganze Zeit in Schule, Studium und Beruf investieren können. Keiner macht auch nur einen Handgriff im Haushalt. Jeder nimmt ihre Fürsorge als selbst- verständlich. In der japanischen Gesellschaft wird das häufig von einer „guten Mutter“ erwartet. Sie muss ihre Rolle spielen und ihre eigenen Bedürfnisse fast immer zurückstellen. Den Männern geht es an ihren Arbeitsplätzen nicht viel anders. Auch Christen sind davon geprägt und damit konfron­ tiert. Sie können nicht einfach „aussteigen“, we- der in der Arbeitswelt noch in ihrem sozialen Umfeld. Umso wichtiger ist es, dass sie in ihrer Beziehung zu Gott und in der Gemeinde unab- hängig von ihrer Leistung Wertschätzung und Annahme erleben. Ein abschließender Gedanke Obwohl mir aus Zeitgründen das Schreiben die- ses Artikels nicht gelegen kam, ist es mir zum persönlichen Gewinn geworden. Manchmal ist es gar nicht schlecht, wenn man zum Innehalten „gezwungen“ wird ... Schwester Regina Kraft l Schwester Regina Kraft betreute von Herbst 1992 bis Frühjahr 2017 Missio­ narskinder im Schülerheim der Liebenzeller Mission. Seit 1989 lebt sie in Japan. Ende Juni 2017 kehrt sie nach Deutschland zurück, um eine neue Aufgabe in der Schwesternschaft zu übernehmen. Vor ihrer Ausbildung an der Bibelschule und dem Eintritt in die Schwestern­ schaft der Liebenzeller Mis­ sion war Schwester Regina Erzieherin von Beruf. Ausflug im Sommerurlaub, von links: S. Regina Kraft, S. Christa Ulmer, S. Gretel Ruoff, S. Priscilla Kunz FOTOS: S. REGINA KRAFT

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