MISSION weltweit – Ausgaben 2017
18 Weiterdenken >> sonderbeitrag Von ulrich giesekus rückblick: die Welt der Moderne Früher waren der Staat, die Kirche, das soziale Umfeld oder die Bildungssysteme als Quelle moralischer Orientierung maßgeb lich. Die Wissenschaft forscht zum Wohle der Menschheit und löst die großen Probleme, zum Beispiel in der Medizin. Der Staat ordnet die Gesellschaft. Die Kirche zeigt den Weg zur Seligkeit. Technischer Fortschritt macht das Leben leichter. Soziale Her kunft bestimmt den sozialen Status. Autoritäten wissen, was richtig und wahr ist und machen Regeln, an die man sich halten sollte. Anständige Menschen wissen, was moralisch richtig ist. Die nukleare Familie ist die Keimzelle der Gesellschaft. Männer sind maskulin und Frauen sind feminin, und jede(r) weiß genau, was das für ihn/sie bedeutet. Berufswahl? Du wirst das, was dei ne Eltern waren. Wohnortwechsel? Fast alle Menschen sterben in dem Dorf, in dem sie geboren wurden. Konfessionszugehörig keit? Erst seit der Reformation gibt es eine Wahl – und daraus folgen zuerst mal eine Menge Kriege. Geregelt wird im Augsbur ger Religionsfrieden 1555 „Cuius regio, eius religio“: Der Lan desfürst entscheidet, welchem Glauben sein Volk angehört. Doch auch nach Einführung der Religionsfreiheit im 19. Jahrhundert bleiben fast alle Menschen in der Kirche, in die sie als Kind ge tauft wurden. Scheinbar kein Problem für eine große Mehrheit, die – aus heu tiger Sicht – wie eine Herde Schafe taten, was verlangt war. Ein großes Problem für die, die aus dem Raster fallen. Das unehe liche Kind im Dorf wurde lebenslang als Bastard geächtet, die Mutter verachtet. Der Grundbesitzer, der sie als seine Magd ver gewaltigt hat, hatte aufgrund seines Status nicht mit Problemen zu rechnen. Willkommen in der Postmoderne Im 20. Jahrhundert ändert sich das soziale und gesellschaftliche Gefüge grundlegend. Denn 500 Jahre nach Reformation und Auf klärung sind wir nicht mehr modern, sondern postmodern, mit der „müssen wir heute wieder tun, was wir wollen?“, fragt ein kindergartenkind etwas genervt die er- zieherin. es bringt damit zum ausdruck, was viele menschen unserer Zeit erleben: niemand sagt uns, was wir tun sollen und wie unser leben funktio- niert. wir müssen sehr viel selbst entscheiden. kann mir mal einer sagen, wo ich hin will? orientierung finden im leben, denken und glauben
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