MISSION weltweit – Ausgaben 2019

Kennen wir den Richter? Und an dieser Stelle kommen all unsere Überlegungen zu einem jähen Halt. Haben wir noch kurz vorher über die unbegrenzten Möglichkeiten der Ewigkeit und die Sehnsucht nach dem ewigen Leben nachgedacht, so schleicht sich spätestens hier das Gefühl ein, als wenn man in voller Fahrt gegen eine Wand geknallt wäre: Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi, damit jeder seinen Lohn empfange für das, was er durch den Leib getan hat, es sei Gutes oder Böses. Vor unseren inneren Augen erscheint das Bild einer riesigen Leinwand, auf der all unsere vergangenen Sünden wie ein Film abgespielt werden – für alle sichtbar. Und auf einmal scheinen die Worte aus dem Tagebuch des frommen Chaoten vom Anfang vielleicht doch relevant zu werden: „Will nicht sterben. Will nicht in den Himmel. Will erst recht nicht in die Hölle.“ Nun ist der Ruf nach dem Richter und dem Gericht an sich ein durch und durch biblischer Gedanke. Sowohl das Alte wie auch das Neue Testament kennen Gott als den Weltenrichter, der das Unrecht hasst und die Frevler bestraft. Hans Brandenburg hat in seinem Psalter-Kommentar gesagt: „Wer das Unrecht hasst, der muss den Richter lieben.“ Wir dürfen und können nicht auf den Begriff „Richter“ oder „Gericht“ verzichten, weil das bedeuten würde, dass wir dem Bösen den Sieg zusprechen. Es gibt einen Richter, und dieser wird am Ende diese Erde und die Menschen gerecht richten. Was jedoch entscheidend ist, ist, dass wir diesen Richter kennen. Paulus spricht vomRichterstuhl Jesu Christi. Der, dem Gott, der Vater, alles Gericht übergeben hat, damit alle den Sohn ehren wie sie den Vater ehren ... (Johannes 5,21ff). Die Frage angesichts der Ewigkeit lautet also: Kennen wir den Richter Jesus Christus? Was haben wir zu erwarten, wenn wir als Sünder vor seinem Richterstuhl stehen? So viel ist falsch gelaufen … Das Neue Testament erzählt uns von einem Sünder, der am Tag seines Todes Jesus bittet: „Jesus, gedenke meiner, wenn du in dein Reich kommst ...“ (Lukas 23,42-43). Eine letzte Bitte an Jesus, gestellt vom Schächer am Kreuz am Tag der Vollstreckung. Es sind viele Gedanken, die mich hier berühren. Der für mich Wichtigste davon ist wohl die Schlichtheit, die diese Bitte kennzeichnet. So vieles ist im Leben falsch gelaufen, so viel Irreparables passiert ... und das Ende so trost- und hoffnungslos, so endgültig die Hinrichtung am Kreuz. Das Leben mit all seiner Schuld und dem Versagen kann nicht rückgängig gemacht werden. Und trotzdem liegt in dieser schlichten Bitte etwas, das alles Hoffnungslose, alles Vernichtende und alles Trostlose dieser Welt in einer Art und Weise übersteigt, die man vielleicht nur aus und in der Begegnung mit diesem gekreuzigten Jesus von Nazareth erklären kann. Eine Begegnung, die dem Schächer am Kreuz zuteil wurde – unerwartet und unverdient. „Jesus, gedenke meiner“ – die Bitte eines Verurteilten an seinen Richter, eines Sünders an seinen Erlöser. Oder vielleicht einfach auch nur die Bitte eines Sterbenden an den, der das Leben ist: „Jesus, gedenke meiner, wenn du in dein Reich kommst!“ Und es war genug. Der Grund dafür ist für Hans Brandenburg offensichtlich: „Dass die Haltung des Glaubenden im Neuen Testament anders ist als die des Frommen im Alten Testament, das dankt er allein dem Gekreuzigten, der das Gericht für alle getragen hat.“6 Durch seinen Tod am Kreuz und seine Auferstehung hat Jesus Christus die Brücke zwischen Tod und Unsterblichkeit, Gott und Mensch, Zeit und Ewigkeit wieder hergestellt,7 sodass nun die Ewigkeit unwiderruflich in das Blick- und Lebensfeld des Menschen hineingekommen ist.8 Ohne diesen konkreten, realen Bezug zur Ewigkeit sind biblische Wahrheiten wie „Wer sein Leben erretten will, der wird es verlieren. Und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es finden“ (Matthäus 16,25) oder „Rächt euch nicht selbst, Geliebte, sondern gebt Raum dem Zorn; denn es steht geschrieben: ‚Mein ist die Rache; ich will vergelten, spricht der Herr‘“ (Römer 12,19) kaum denkbar, geschweige denn lebbar. Dieses Leben: einzige Chance für Glück, Frieden und Gerechtigkeit? Wenn die Ewigkeit keinen Raum und keine Rolle im Alltag des Glaubens hat, sondern nur diese sichtbare, materielle Welt als die entscheidende Realität wahrgenommen wird, dann kann der Glaube sehr schnell verbittern und zerschellen am Leiden der eigenen persönlichen Lebensgeschichte und auch dieser Welt. Wenn dieses Leben meine einzige Chance und Hoffnung auf Glück, Frieden und Gerechtigkeit darstellt, wenn die Verheißungen Gottes nur beschränkt auf diese Welt und dieses Leben gelten, dann muss mein Glaube an Gott verzweifeln. Wenn das wahre, reale Leben hier und jetzt mit dem Tod endet und wir allein in diesem irdischen Leben auf Christus hoffen, dann gilt das Wort von Paulus, dass wir die Elendesten unter allen Menschen sind (1. Korinther 15,19). Der Sog, alles nur auf diese Welt und dieses Leben zu reduzieren, ist groß. Es ist ein Kampf gegen das Sichtbare, das den Glauben ersetzen will mit dem menschlich Überschaubaren, obwohl unser Dasein in dieser Welt mit all der Sünde und Schuld, Versagen, Verlust, Einsamkeit, Zerbruch, Reue, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit und Tod menschlich nicht überschaubar ist. Aus der Realität der Ewigkeit leben „Gedenke meiner, wenn du in dein Reich kommst ...“ Die Kraft und die Hoffnung, die diese unmögliche Bitte im Angesicht des Todes ermöglichen, haben ihren Ursprung nicht in der sichtbaren Welt, die in diesem Moment dominiert wird von der Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung und dem grausamen Tod am Kreuz. Sie findet ihren unerschütterlichen Ursprung in der Gegenwart des Gottesreiches, im Schauen auf die Ewigkeit, die sich in und durch Jesus Christus auch für den verlorensten Menschen und hoffnungslosesten Sünder eröffnet. Menschlich gesehen kann und dürfte der Schächer am Kreuz, dieser sterbende, verlorene Sünder, nur seine eigene hoffnungslose und endgültige Realität sehen und daran verzweifeln. Wie könnte es auch anders sein im Moment der eigenen Hinrichtung ... Aber er sieht mehr. Er hört mehr. Und – ja tatsächlich – er Wenn dieses Leben meine einzige Chance und Hoffnung auf Glück, Frieden und Gerechtigkeit darstellt, wenn die Verhei- ßungen Gottes nur beschränkt auf diese Welt und dieses Leben gelten, dann muss mein Glaube an Gott verzweifeln. 20 weiterdenken >> sonderbeitrag von prof. dr. mihamm kim-rauchholz Foto: medienrehvier/Helga brunsmann

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