MISSION weltweit – Ausgaben 2019

20 ob sie Beziehungen brauchen. Introvertierte Menschen möchten lieber ein paar wenige, gute Freunde ein Leben lang halten. Am liebsten ist ihnen, wenn die alten Kindergartenfreunde sie noch im Ruhestand begleiten. Extrovertierte dagegen sind immer auf der Suche nach neuen, interessanten Begegnungen, die möglichst auch heterogene kulturelle Hintergründe haben sollen. Warmherzige Menschen lieben einen vertrauensvollen Nahkontakt mit Selbstoffenbarung und Interesse am persönlichen Wohlergehen. Sachliche reden lieber über etwas außerhalb der eigenen Personen, zum Beispiel Politik, Autos oder theologische Fragen. Unkonventionelle mögen Humor, Interessantes, möchten gut unterhalten werden und können auch selbst charmant sein. Korrekte lieben klare Terminabsprachen, gute Planung und Pünktlichkeit. Frauen ziehen es oft vor, mit Leuten zusammen zu sein, mit denen sie gut reden können. Männer tendieren eher dazu, gemeinsame Aktivitäten zu suchen – Kart fahren, Sport treiben, Musik machen. Anleitung zur Einsamkeit Wenn Sie unglücklich leben, früh krank werden und bald sterben wollen, müssten Sie die folgenden Tipps beherzigen: Nur das Beste für die Gäste Fangen wir mal bei denen an, die es zu gut machen wollen. Begegnungen müssen in einem sauber aufgeräumten Wohnzimmer mit erlesenen, selbst zubereiteten Speisen stattfinden. Die Gespräche sollten authentisch, persönlich, vertrauensvoll, tief und bedeutsam sein – am besten ein Austausch über wirklich wichtige Fragen, möglichst unter Berücksichtigung der geistlichen und kulturellen Fragen unserer Zeit. Klar, dass das nicht passiert. Schon gar nicht auf Knopfdruck! Ich denke an den Anfang guter Freundschaften zurück: Es gab nie Tiefe, ohne zuerst an der Oberfläche zu sein. Ein Bier am Gartenzaun. Eine spontane Einladung nach demGottesdienst: „Hättet ihr Lust, mit uns ‚ ne Pizza essen zu gehen?“ Begegnungen am Kinder- spielplatz. Ein lustiges Missgeschick (zumindest für die anderen, für mich eher peinlich) im Rahmen eines Gemeindefestes. Wer die Erwartungen zu hoch hängt, ist nicht offen für das, was passiert. Gute Freundschaften entstehen mit der Zeit – und das braucht manchmal sogar Jahre, aber sicher eher Monate als Wochen. Dabei hindern oft nicht die zu hohen Erwartungen an die anderen, sondern vielmehr die, die man an sich selbst hat („Du musst ein guter Gastgeber sein, was sollen die denn bloß denken?“). Frauen tendieren mit ihrer generell höheren Tendenz zur Selbstkritik dazu, sich ständig zu überfordern. Das „Martha-Syndrom“. Aber egal, wie gut sie es machen, es reicht nie ganz. Sie bitten dann um Verzeihung für eine Staubflocke unter der Couch, die niemand gesehen hätte, wenn sie es nicht gesagt hätten. Oder nörgeln so lange an ihrem fast perfekten Kuchen herum, bis er den anderen auch etwas komisch vorkommt. Und wenn der Wunsch, es den anderen schön zu machen, dazu führt, dass wir uns selbst nicht genießen können, werden wir auch ungenießbar. Natürlich gibt es auch Männer, die nicht gut zwanglos zusammen sein können. Das beste Restaurant am Ort, die genau richtigen lässigen Sportschuhe, erlesene Musik aus teuren Lautspre- chern. Alles ist perfekt – nur fühlt sich niemand wohl dabei. Erst die Arbeit, dann das Spiel Hier haben die Männer eindeutig die Nase vorn: Wenn es darum geht, „Wichtigeres“ zu tun zu haben, als Zeit mit Freunden zu verbringen, können sie oft einen Sachzwang nach dem anderen hervorzaubern. „Das Brennholz macht sich nicht von alleine“, Überstunden bei der Arbeit und der dringende Reifenwechsel – jedes einzelne Anliegen ist berechtigt. Aber in der Summe gibt es ein Muster, was am Ende so aussieht: Leben für die Arbeit – nicht arbeiten für das Leben. Natürlich gibt es auch Meisterinnen der Vielbeschäftigung und des Dauerstresses, besonders, wenn neben einer Erwerbstätigkeit auch Haushalt und Kindererziehung hauptsächlich oder ganz an ihnen hängt. Wenn man sieht, dass bei Doppelverdienern das Kochen, Putzen, Waschen, Bügeln immer noch überwiegend Frauenarbeit ist, ist klar, dass sie oft aus dem letzten Loch pfeifen und gar keine Energie für Freunde und Beziehungen haben. Vieles von dem, was unsere Kalender so vollstopft, ist aber am Ende nicht wirklich wichtig gewesen. In Markus 4 erzählt Jesus das Gleichnis vom „schlafenden Sämann“, der nach der Saat bis zur Ernte seelenruhig schläft. Leben muss solche Rhythmen haben wie Atmen, Aktivität und Muße. Beziehungspflege ohne Muße ist wie Blumenriechen beim Wettrennen. Hintergedanken hegen Eine sichere Methode, um Beziehungen gar nicht erst entstehen zu lassen, ist, sie zu verzwecken. Lassen Sie Ihre Nachbarn und Bekannten spüren, dass Sie sie eigentlich eingeladen haben, um einen anderen Zweck zu verfolgen – dabei ist es völlig egal, ob Sie Vitaminsäfte zum Kauf anbieten, Plastikschüsseln oder Küchenmaschinen anpreisen oder sie zum Glauben an Jesus bekehren wollen. Man kann auch Status und Prestige suchen oder beruflich weiterkommen wollen. Wenn die Menschen das Gefühl haben, die Begegnung mit Ihnen dient gar nicht der aufrichtigen Kontaktaufnahme, sondern einem verborgenen Ziel, wird man Sie so bald nicht wieder mit einem Besuch belästigen. Ein Nachbar erzählt bei unserem ersten Treffen, jemand anderes aus der Nachbarschaft (die wir auch kannten) hätte sie eingeladen, aber sie offensichtlich nur bekehrenwollen. Das hat sie verletzt, sie fühlten sich manipuliert. Als sie später herausfanden, dass auch wir gläubige Christen sind, kam bei ihnen der Verdacht auf, dass wir auch eine versteckte Agenda hätten. Paradox: Als sie merkten, dass sie uns lieb sind und wir die Zeit mit ihnen um der Gemeinweiterdenken >> sonderbeitrag von prof. dr. ulrich giesekus Anleitung zur Einsamkeit: Verbringen Sie Ihre Zeit möglichst oft vor einem Bildschirm. Die heißen so, weil Bilder uns so gut abschirmen.

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