MISSION weltweit – Ausgaben 2019

23 das empfehlen wir Dr. Tobias Schuckert, verheiratet mit Sabine, drei Kinder. Nach dem Abitur hat er das Theologische Seminar der Liebenzeller Mission absolviert. Von 2000 bis 2013 war er in der Studentenarbeit und dann Gemeindegründung in Japan tätig. Nach einem Studienaufenthalt in den USA seit 2015 Praxisdozent der Studien- und Lebensgemeinschaft, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsinstitut LIMRIS (Liebenzell Institute for Missiological, Religious, Intercultural and Social Studies) sowie Dozent an der Internationalen Hochschule Liebenzell. weiterdenken >> sonderbeitrag von dr. tobias sc uckert 4. „Mission zerstört Kultur“ Als deutsche Missionare in Japan haben wir immer wieder auch unser Deutschsein als Aufhänger benutzt, um mit Menschen in unserer Nachbarschaft in Kontakt zu kommen. Das Ergebnis war leider, dass viele das Evangelium als etwas Deutsches betrachtet haben, das für Japaner keine Relevanz hat. Die japanische Kultur haben wir damit nicht unbedingt zerstört, aber Japaner, die Christen wurden, haben es als schwierig empfunden, Christsein und Japanersein als eine Einheit zu betrachten. Darum ist die Frage berechtigt: Sind Missionare, wenn sie Menschen zum Glauben an Jesus führen, Kulturzerstörer? Diese Frage ist mit einem eindeutigen Jein zu beantworten. Natürlich zerstört Mission Kultur. Jeder Einfluss von außen zerstört Elemente der jeweiligen Kultur. Das liegt daran, dass Kulturen ständig im Wandel sind. Es gibt keine statische Kultur. Denken wir nur an die Veränderungen, die das Smartphone in unsere deutsche Lebensweise hineingebracht hat: gute und äußerst schlechte. Aber wollen Sie deshalb Ihr Smartphone abgeben, weil es „deutsche Kultur“ zerstört hat? Das will ich dann schon selbst entscheiden dürfen. Genau diese Entscheidungsfreiheit lässt Mission den Menschen. Mission gesteht ihnen zu, dass sie selbst fähig sind zu entscheiden, ob das Evangelium gut oder schlecht für sie ist. In der Kirchengeschichte lässt sich beobachten, dass es meist nicht das Evangelium war, das die Menschen ablehnten. Es waren die Kolonialbestrebungen oder wirtschaftlichen Interessen der westlichen Mächte, die häufig kurz nach den Missionaren in die Länder kamen. So hat sich Japan im 16. Jahrhundert nach der Ankunft Franz Xavers (1549) für das Evangelium geöffnet. Viele Japaner ließen sich taufen. Später kam es dann zum Konflikt, weil die europäischen Staaten Interesse an Japan als Kolonie hatten. Japan verband diese Staaten mit dem Christentum und machte seine Grenzen von 1600 bis 1868 dicht. Das ist ein Beispiel, wie sich ein Land gegen die Zerstörung seiner Identität und Kultur durch „christliche“ Mächte wehrte. An anderen Orten wurde die Mission zur Bewahrerin von Kultur, denn Mission war immer auch mit Übersetzungsarbeit verbunden. Die Bibel wurde und wird in die Sprache der Menschen „hinein übersetzt“. Das ist das Erbe der Reformation, die ja bekanntlich mit einer Bibelübersetzung begann. Es ist eine theologische Grundsatzentscheidung: Gott spricht die Sprache der Menschen. Mit der Sprache stellt sich Gott nun auch zur Kultur der Menschen. Der kürzlich verstorbene ghanaische Missionswissenschaftler Lamin Sanneh hat es so ausgedrückt: „Mission als Übersetzung folgt einer mutigen und fundamentalen Voraussetzung, dass die empfangende Kultur ein echtes Ziel der Heilsversprechen Gottes ist. Die Konsequenz daraus ist, dass diese Kultur einen Ehrenplatz unter der Güte Gottes gegen jeglichen kulturellen Absolutismus hat.“4 Sanneh erzählte, wie er zum Glauben an den Gott der Bibel gefunden hat, weil dieser einen Namen aus seiner Muttersprache hatte. Einen Namen, den Sanneh in seiner Kultur verstehen konnte. Mission bewahrt also auch Kulturen. Die Bibel spricht davon, dass die „Könige ihre Herrlichkeit in das himmlische Jerusalem bringen“ werden (Offenbarung 21,24). Im himmlischen Jerusalem werden die Kulturen noch einmal neu zum Blühen kommen. Die Kulturen werden von allem Menschenfeindlichen, was sie ausmacht, gereinigt werden, und die Menschheit wird in ihrer Gesamtheit die Herrlichkeit widerspiegeln, die sie jetzt vermisst. Gott will keinen christlichen „Einheitsbrei“, bei dem alle die gleichen Lieder singen. Gott will Vielfalt. Das Reich Gottes wird nicht nur aus einer deutschen, japanischen, amerikanischen usw. Kultur bestehen, sondern aus allen Kulturen zu allen Zeiten. Aus dieser Perspektive gesehen, darf Mission keine Kultur absolut setzen und muss sich dafür einsetzen, dass Kulturen bewahrt bleiben. Mission im 21. Jahrhundert wird ein neues Gesicht haben Schon heute sind die meisten Missionare nicht mehr aus Europa oder den USA, sondern aus Afrika und Lateinamerika. Das wird die Mission der weltweiten Kirche nachhaltig prägen. Diese Missionare werden sich mit anderen Vorurteilen und Vorwürfen auseinandersetzen müssen. Mein Blick geht noch einmal an unsere Pinnwand. Ich schaue mir „unsere“ Missionare erneut an. Es sind allesamt Deutsche. Wie wohl manche der hier genannten Vorwürfe und Vorurteile auf ihre Arbeit zutreffen? Welche Vorurteile wohl den Missionaren aus Südamerika und Afrika entgegengeschleudert werden? Da werden auch manche stimmen – und viele andere muss man nicht glauben. Eins ist klar – seit Pfingsten (Apostelgeschichte 2) geschieht die Mission im Namen Jesu. Der Heilige Geist benutzt seit damals Menschen, die Fehler machen, die sich streiten und die kulturell unsensibel sind. Der dreieinige Gott bedient sich seiner schwachen, fehlerhaften Kirche, damit seine Mission vorwärtsgetrieben wird – bis zu dem Tag, an dem ER sein Reich vollendet. Bis zu diesem Tag wird die Mission mit Vorurteilen und Vorwürfen kämpfen. Aber an diesem Tag wird offensichtlich: Jesus war immer der Herr seiner Mission. Dr. Tobias Schuckert l Foto: Benjamin Wurster 4 L. Sanneh, Translating the Message, Maryknoll, 2009, 31 (Übersetzung T. Schuckert). Mission gilt dem ganzen Menschen: Regine Kestner besucht einen kranken Jungen im Kinderdorf in Khulna/Bangladesch. Foto: elke pfrommer mission weltweit 5–6/2019

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