MISSION weltweit – Ausgaben 2020
11 mission weltweit 7–8/2020 mittlerer osten darum geht’s Foto: istockphoto/1001nights Denn auch bei uns Christen gibt es das gut gemeinte, aber vorschnelle Weine-Nicht. Eine Gemeinschaft der „Mitweinenden“ hilft mir, dass ich mich nicht allein fühle oder daran zwei- fele, „normal“ durch meine Krise zu gehen. Sie ist ein Ausdruck der Liebe und darum oft ein größerer Trost als ein schnelles Verweisen auf Gottes guten Willen und seine Macht. Immer wieder berührt mich der Gedanke, dass auch Jesus mitgeweint hat mit Maria und Marta, als er vor Lazarus‘ Grab stand: Und das, obwohl er ja geplant hatte, ihn in wenigen Minuten in spektakulärer Weise von den Toten aufzuerwe- cken! (Johannes 11,1–35) Wenn Verluste nicht verstanden werden Mitunter trauern wir um Verluste, die für ande- re nicht so leicht nachzuvollziehen sind, und es ist schwerer, eine Gemeinschaft der Mitweinen- den zu finden. Vor einigen Jahren verließ ich mein Land, in dem ich mehr als acht Jahre lang gelebt hatte, um in England ein Studium abzu- schließen. Kurz vor meiner Abreise waren Unru- hen ausgebrochen. In den folgenden Monaten glitt das Land, das ich liebte, in einen langen und blutigen Bürgerkrieg. Meine Umwelt war vor allem beruhigt, dass ich nicht mehr dort war. Jemand in meiner Gemeinde drückte das so aus: „Du musst heilfroh sein, dass du aus dem Höllenloch herausgekommen bist.“ Froh? Ich war in Trauer! Ich suchte täglich in den Nachrichten die Bilder von Menschen in Trüm- merhaufen und Flüchtlingslagern nach bekann- ten Gesichtern ab. Gleichzeitig war ich keine Bür- gerin dieses Landes. Ich war nicht so betroffen wie die Flüchtlinge. Meine Familie und ich lebten in Sicherheit. Aber mir fehlte der innere Abstand meiner Landsleute. Ich fühlte mich, als ob ich zwischen allen Stühlen säße und mich rechtfer tigen müsste für mein emotionales Wirrwarr. In dieser Zeit hat Gott mir zwei Freundinnen geschenkt, die gute Zuhörerinnen sind, und die mich in den Arm genommen haben, statt mir Ratschläge zu geben, wie ich möglichst schnell wieder rauskommen kann aus der Trauer. Weil ich mit ihnen über meinen Schmerz reden konn- te, konnten wir auch zusammen über Gottes Souveränität und seine Liebe nachdenken. Mit diesen beiden Frauen Zeit zu verbringen war heilend für mich. Zuhören, aushalten, beten, weitersagen Gegenseitiges Mittrauern fällt uns nicht nur schwer, weil wir oft so tief im eigenen Leben ste- cken, dass wir uns nur schwach in die Lage des anderen hineinversetzen können. Es ist auch einfach mühevoll, Leid mitanzusehen, ohne eine Lösung in Sicht. Die Klage des anderen nimmt mich mit. In den vergangenen Jahren habe ich intensiv mit Flüchtlingen gearbeitet. Jede Fami- lie war in Trauer. So oft war alles, was ich tun konnte: versuchen, ein guter Zuhörer zu sein und die Trauer als mitfühlender Außenstehen- der auszuhalten. Nach dem Zuhören konnte ich den Menschen anbieten, für sie zu beten: um Arbeit, um Ge- sundheit für kranke Kinder oder um einen Anruf vom vermissten Ehemann, dass er noch lebt.Und ich konnte ihnen anbieten, die Bibel zu lesen. Von dem zu hören, der wirklich helfen, trösten und heilen kann – und wird; der mit uns leidet, wenn wir wie die Witwe, Johannes oder Maria und Marta am Tiefpunkt angekommen sind. Mit Hala habe ich noch mehrere Male in der Bibel gelesen. Dann musste ich auch ihr Land verlas- sen. Das Letzte, was ich von ihr weiß: Sie hat zusammen mit ihremMann erste Schritte in Rich- tung Glauben an den lebendigen Gott gemacht. l Die Autorin ist Theologin, Islamwissenschaftlerin und Dozentin. Sie und ihr Mann arbeiten mit der Liebenzeller Mission in der arabischen Welt. Eine Gemeinschaft der „Mitweinenden“ hilft mir, dass ich mich nicht allein fühle oder daran zweifle, ob ich „normal“ durch meine Krise gehe.
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