MISSION weltweit – Ausgaben 2020

22 rePliK zu ratlos Da geht ganz schön die „Post“ ab: Volker Gäckle verweist in seinem Artikel in der Juli/August-Ausgabe, Seite 24ff 1 auf die „Postevangelikalen“, also jene Gruppe unter den Erwecklichen, die genug hat von alten Einseitigkeiten und Streitigkeiten. Sie wenden sich ab von der Fokussierung auf bestimmte Themen wie Abtreibung, Sexualethik und klassischer Bibelfrömmig- keit, öffnen sich für sogenannte liberale bibelkritische Haltungen, geben sich auf- geklärt und gehen auf Distanz zu jenen „besonders Konservativen“, die sich um „Bibel und Bekenntnis“ mühen und teil- weise kämpferisch zu Bekenntnissynoden aufrufen. Volker Gäckle sieht die evange- likale Bewegung vor einer „Zersplitte- rung“ und zeigt sich angesichts dieser Ana- lyse „ratlos“. Da wir immer wieder gemeinsam in einem anregenden Austausch sind, hat er mich um eine Antwort auf seinen Artikel gebe- ten, die ich hiermit vorlege. Und ich sage ein Doppeltes: 1) Ich fürchte, es könnte noch schlimmer kommen. 2) Ich glaube, es gibt allen Grund, hoffnungsvoll statt ratlos zu sein. 1) Es könnte noch schlimmer werden Klar ist: Beide Gruppen – es gibt viele dazwischen – haben jeweils berechtigte Anliegen. Sie haben aber auch erhebliche Gefährdungen. So stärken sie sich jeweils 2) Es gibt Grund zur Hoffnung Keine Frage: Die Bewegung der sogenann- ten Frommen wird breiter, in sich pluraler, ihre Grenzen werden unscharf. Aber wir sollten keine Zersplitterung oder Spaltung herbeireden. Es gibt mehr, was sie verbin- det, als was sie trennt. Und ich sehe eine junge Generation, die neue Trends setzt. trend 1: Eine persönliche Jesus-Beziehung Es ist das Kennzeichen von Pietisten, Pfingstlern, Charismatikern oder Evangeli- kalen, aber auch von vielen Christen, die sich keiner dieser Bewegungen zuordnen. Etiketten braucht es nicht. Ich nehme mit großer Dankbarkeit wahr, dass es diese Jesus-Leute in vielen kirchenpolitischen, konfessionellen und spirituellen Lagern gibt. Was sie bei allen Unterschieden ver- bindet, ist das feste Vertrauen und die eine Hoffnung auf Jesus Christus. Das ist mehr als ein Minimalkonsens. Es ist die Einheit im Entscheidenden. trend 2: Eine neue Gebetsbewegung Es gibt eine neue Generation, die betet. Junge und nicht mehr ganz so junge Erwachsene beten. Gebetskonzerte, Gebets- nächte, Gebetshäuser sprießen aus dem Boden. Man kann manches daran auch kri- tisch hinterfragen, etwa ob die „Generation Lobpreis“ noch genug von der Bibel weiß, ob die Klage nicht zu kurz kommt und ob in ihrer gegenseitigen Ablehnung. Je lau- ter die einen die nächste Segnung gleich- geschlechtlicher Paare anprangern, desto mehr bestätigen sie die andern in ihrer Kri- tik an theologischer und ethischer Engfüh- rung und in ihrem Vorwurf fundamentalis- tischer Gesetzlichkeit. Je häufiger diese jedoch auf Pluralität, wissenschaftliche Weite und notwendige Toleranz verwei- sen, desto schärfer wird der Vorwurf der Profillosigkeit, der zeitgeistigen Beliebig- keit und einer Bibel- und Christusverges- senheit. Dazwischen gibt es einige, die zu vermit- teln versuchen, aber meist scheitern an der Dynamik der Distanzierung. Die christli- che Presse tut ihr Übriges, um Fronten zu schärfen. Die Debatten auf Facebook, You- tube und Co helfen kaum zu mehr Diffe- renzierung, sondern sorgen für Eskalation. Beschwerlich sind gelegentlich Polemik, Zynismus und Häme Einzelner auf beiden Seiten, die immer noch mehr Öl ins Feuer gießen. Hinzu kommt: Die gesellschaftlichen Pola- risierungen finden sich auch unter Christen wieder. Die Bewegungen werden radikaler und anfälliger für Ideologien. Das zeigen auch die Debatten in der Corona-Krise. Eine nüchterne, sachliche und gelassene Ausein- andersetzung wird immer schwerer. – Wie gesagt: Es könnte noch schlimmer kom- men. Und dennoch will ich nicht bei einer Ratlosigkeit stehen bleiben. Warum? FOTO: ISTOCKPHOTO.COM/FS-STOCK mehr hoffnungsvoll als ratlos … 1 https://www.liebenzell.org/medien/zeitschriften/mission-weltweit/ … oder warum die Jesus-bewegung nicht totzukriegen ist

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