MISSION weltweit – Ausgaben 2020
16 weiterdenken >> sonderbeitrag zum thema von dr. günther beckstein Dr. Günther Beckstein, 1943 geboren, verheiratet, drei Kinder und sieben Enkel. Er ist Rechtsanwalt, war fast 40 Jahre lang Abgeordneter des Baye rischen Landtags, davon sechs Jahre Staatssekre tär, dann 14 Jahre Staatsminister im Bayerischen Staatsministerium des Inneren und von 2007 bis 2008 Ministerpräsident. Günther Beckstein wurde vom CVJM geprägt. Viele Jahre engagierte er sich in der Synode der Evangelischen Kirche in Bayern. Außerdem war er Synodaler und Vizepräses der Synode der EKD. 4. Familie Die Lage der Familie ändert sich im Alter. Die Kinder sind erwachsen, gründen eine eigene Familie, Enkel werden geboren. Gerade im Alter kann die Familie eine große Bereicherung sein. Vor allem hilft sie gegen die größte Her ausforderung – die Einsamkeit! Allerdings ist es wichtig, sich darüber klar zu sein, dass es herausfordernd sein kann, den Kon takt zu halten, ohne sich in die Belange des Kin des und seiner Familie einzumischen. Die nächs te Generation hat eigene Vorstellungen, was im Leben wichtig ist, wie Partnerschaft zu organi sieren ist, welchen Familiennamen man wählt, wie Erziehung gelingt. Also Anteil nehmen, ohne sich einzumi schen; Rat nur geben, wenn danach gefragt wird; nicht versu chen, den Kindern eigene Vorstellungen aufzuzwingen. Insbeson dere bei der Erziehung von Enkeln sollte man daran denken, dass Ratschläge oft mehr als Schläge denn als Rat empfunden werden. Aber es ist wichtig, eigene Erfahrungen weiterzugeben. Das gilt nicht nur für die Familie, sondern auch in Vereinen und gesell schaftlichen Prozessen: Die Erfahrung von uns Älteren ist ein gro ßer Schatz, der an die nächste Generation unbedingt weiterzuge ben ist. Aber der Grat ist schmal zwischen sehr hilfreichem Rat und unerwünschter Bevormundung. 5. Persönliches Älter und schließlich alt zu werden, ist eine große Herausforderung an einen selbst. Nicht mehr die Zukunftspläne, die einen als jungen Menschen geprägt haben, stehen im Mittelpunkt, sondern der Rückblick auf das Leben. Höhen und Tiefen, Erfol ge und Misserfolge, Schönes und Unerfreuliches haben ein langes Leben geprägt. Probleme zu ver arbeiten – vielleicht auch im Gespräch mit anderen – ist jetzt wichtig: ohne zu verzweifeln, ohne Erreichtes zu überhöhen, ohne überheblich zu werden. Der persönliche Glaube ist hierbei eine große Hilfe. Dass jeder Mensch Sünder ist, dass Versagen und Schuld bei jedem Men schen vorhanden ist, und dass Christus für unsere Schuld gestor ben ist und die Vergebung von Sünde und Schuld Realität ist: Das wird im Alter wichtiger und gibt eine große, tiefe Verankerung. Und umgekehrt bewahrt die Erkenntnis, dass alle Erfolge und Leistungen auf Gaben Gottes zurückzuführen sind, davor, über heblich und egozentrisch zu werden. Eine große Gefahr im Alter ist die Einsamkeit. Wenn man sieht und erlebt, dass Familienangehörige, Bekannte und Freunde ster ben, wird es um einen herum einsamer. Systematisch und sorg fältig die verbliebenen Kontakte zu pflegen ist wichtig. Selbst unter Corona-Bedingungen dürfen sie nicht aufgegeben werden oder versickern. Ein Kaffeekränzchen über WhatsApp oder am Telefon ist zwar nicht so schön wie eine persönliche Begegnung, aber besser als nichts. Regelmäßig Telefongespräche mit Bekann ten und Freunden führen – das ist wichtig. Geborgen sein in einer Gemeinschaft, Familie oder Kirchengemeinde oder auch in einem Verein oder Club kann eine große Hilfe sein. Es hat mich sehr bewegt, als mir eine gute Bekannte vor einigen Wochen sagte, dass sie sich auf jeden Arztbesuch freue. Da könne sie im Wartezimmer mit anderen Menschen reden. Sonstige Kontakte hätte sie nicht mehr. Der Umgang mit Zeit ändert sich im Alter. Wäh rend früher ein Termin dem anderen folgte und Hetze zum Alltag gehörte, ist jetzt Zeit für Muße. Bewusst Interessantes im Fernsehprogramm wählen, die sorgfältige Lektüre der Zeitung, aber auch Bücher lesen gibt wichtige Impulse und Anlass, sich mit anderen darüber auszutau schen. Gerade die Lektüre der Bibel schenkt immer wieder neue Erfahrungen. Selbst Spiele am Computer erfreuen mich, wenn ich freie Zeit habe. Sie ist manchmal überraschend gering. Denn die Organisa tion des Alltags verlangt immer mehr Zeit, je älter man wird. Ohne mein Smartphone und die Kommunikation über E-Mail käme ich nicht mehr aus. Ich bin froh, noch im Beruf begonnen zu haben, diese Medien zu gebrauchen. Bei Schwierigkeiten, die komplizierten Geräte zu bedienen, helfen Kinder und zunehmend Enkel. Dass die körperliche Leistungsfähigkeit geringer wird und man ches Wehwehchen oder auch ernstere Erkrankungen zu spüren sind, sind unvermeidliche Folgen des Alters. Gott sei Dank haben wir in Deutschland ein hervorra gendes Gesundheitssystem mit qualifizierten Ärz ten – und auch die Physiotherapeuten darf ich nicht vergessen! Ich bin dafür dankbar, denn dies ist keineswegs selbstverständlich, wie ein Blick auf andere Länder schnell zeigt. Es ist notwendig, sich auf die reduzierte körperli che Leistungsfähigkeit einzustellen. So habe ich das Skilaufen trotz meiner Leidenschaft dafür been det. Ich denke gerne zurück an wunderschöne Ski tage, aber eine kleine Wanderung hält mich auch in Schwung. Ich weiß, dass „wer rastet, der rostet“; also ist Bewegung wichtig und muss geplant werden, vor allem dann, wenn dabei Schmerzen auftreten. Natürlich kommt einem manchmal der Gedanke: Ich wäre gerne noch einmal jung. Aber ich bin auch froh, nicht mehr der Belas tung und Verantwortung eines Aktiven ausgesetzt zu sein. Es ist schön, auf viele gute Erlebnisse zurückzublicken und dankbar zu sein, in Frieden und Freiheit ein spannendes Leben geführt zu haben und jetzt einen beschaulichen Lebensabend zu genießen. Probleme zu verarbeiten – vielleicht auch im Gespräch mit anderen – ist jetzt wichtig: ohne zu verzweifeln, ohne Erreichtes zu überhöhen, ohne überheblich zu werden. Foto: humphrey muleba on unsplash
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