MISSION weltweit – Ausgaben 2021

9 mission weltweit 11–12/2021 südasien darum geht’s gefüttert, wenn sie sich lange nicht gesehen haben. Mir kommt es vor, als wäre es jedes Mal ein kleines Fest des „Aufeinander-angewiesenSeins“. Eine Feier, weil man aufeinander angewiesen ist? Wie passt das zusammen? Gesunde Bedürftigkeit Irgendwie wissen wir Europäer: Es ist ratsam, unüberschaubareVerpflichtungenzuvermeiden, im sozialen wie auch im finanziellen Bereich. Daher sollten wir niemanden belasten. Außer vielleicht die Krankenkasse. Oder unsere Haftpflichtversicherung. Und weil wir es gewohnt sind, uns in Krankheitszeiten und anderen Notsituationen auf Institutionen zu verlassen, bleibt es uns in vielen Situationen erspart, umHilfe bitten zu müssen. Es entsteht ein Gefühl von Unabhängigkeit: „Ich schaffe das allein!“ Aber wozu? Erzählt uns nicht gerade das Wort unseres Schöpfers davon, dass wir durch Jesus zu einem Leib werden, in dem keiner alles kann? Warum glaube ich dann oft, ich müsste jede Lücke selbst füllen? Gibt es vielleicht so etwas wie eine „gesunde Bedürftigkeit“? Als „Westler“ ist es für meinen Mann und mich manchmal verwirrend, sich in einer gemeinschaftsorientierten Kultur zurechtzufinden, in der jeder von jedem abhängig ist. Als Freunde uns einmal baten, ihnen für die Mietkaution ihrer Geschäftsräumlichkeiten eine große Summe Geld zu leihen, waren wir erstaunt über den kurzfristigen Bedarf. Schließlich konnten sie sich Urlaube leisten und einen gehobenen Lebensstil führen. Außerdem war es eine fünfjährige Routinezahlung. Hätten sie das nicht besser planen können? Irgendwo zwischen der Angst, ausgenutzt zu werden, und dem Wunsch, gnädig zu sein, entschieden wir uns für eine Summe. Wir gaben das Geld, ohne es zurückzuerwarten, denn wir wollten innerlich „frei“ bleiben und unsere Freundschaft nicht belasten. Beziehungsbelastend oder beziehungsfördernd? Wie überrascht waren wir, als wir die Hälfte des Geldes innerhalb weniger Monate zurückerhielten. Dann stoppte die Rückzahlung. Wohl nur, weil ich das Glück habe, eine ungewöhnlich offenherzige Freundin zu haben, konnte ich herausfinden weshalb. „Weißt du“, sagte sie, „wir wollen euch als Freunde behalten, auch wenn ihr wegzieht. Aber ich habe solche Sorge, dass wir Füttern hautnah: in unserem einsatzland in südasien isst man ohne Besteck mit der rechten hand, und daher wird das essen auch genauso gegeben: mit der hand. nichts mehr miteinander zu tun haben werden, wenn wir euch das ganze Geld zurückgeben!“ Ach so! – Diese finanzielle Verpflichtung, die wir als beziehungsbelastend ansahen, empfanden sie als beziehungsfördernd. Weiter konnte unsere Interpretation wohl kaum auseinanderliegen. Dazu kommt mir die Geschichte eines Missionars in den Sinn, die ich vor einiger Zeit hörte: Er genoss lange nach der Rückkehr in sein Heimatland hohes Ansehen bei den Menschen seines Gastlandes. Der Grund dafür war den nachfolgenden Missionaren unbekannt, bis ein jüngerer die Ursache für die Anerkennung herausfand: Im Gegensatz zu den meisten seiner Kollegen hatte besagterMissionar die einheimischenGemeindemitglieder um finanzielle Unterstützung gebeten, damit er zur Beerdigung eines nahen Verwandten in seine Heimat fliegen konnte! Jener Missionar war kein erhabener Geber geblieben. Er hatte sich eingefügt in ein enges Netz von Geben und Nehmen. Oft schrecke ich genau davor zurück, weil ich doch „frei“ sein will. Doch was wäre, wenn ich die Angst, meine eigene Bedürftigkeit zuzugeben, überwinde? Wenn ich ein Ja fände zu meiner Unvollkommenheit und lernte, Hilfe gerne anzunehmen? Wäre ich dann nicht noch freier? Johanna l

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