MISSION weltweit – Ausgaben 2021

15 mission weltweit 11–12/2021 deutschland darum geht’s Die verlockende Für-Falle Je mehr sich eine Arbeit weiterentwickelt, desto größer ist die Gefahr, dass die gegenseitige Abhängigkeit verloren geht zugunsten einer (gewollten oder ungewollten) Abhängigkeit von wenigen Helden. Dass aus dem gegenseitigen MIT ein FÜR wird. Es fühlt sich so gut und christusgemäß an, etwas FÜR Menschen zu tun. In Wahrheit verbirgt sich hier eine Falle: Menschen werden zu Objekten von möglichst Glanzvollen. Diese kommen ihrerseits immer mehr unter Druck, weil ihr Glanz nur eine Show, eine Illusion ist. Hier sehe ich einen der Schlüsselpunkte unserer Arbeit: Wird es uns weiterhin gelingen, die gegenseitige Abhängigkeit zu pflegen? Die Mär der Autonomie Nehmen wir als Beispiel unsere familiäre Situation: Wir mussten uns nach einer größeren Wohnung umschauen und wurden außerhalb der Stadt fündig. Für die Kinder war das eine gute Entscheidung. Wir sind dankbar für die gewonnene Freiheit – die uns jedoch von den Menschen, die wir bei Lubu beatz erreichen, ein Stück weit entfernt hat, nicht nur räumlich. Welch ein Segen – unsere Freiheit! Welch ein Segen – unsere Autonomie! Je unabhängiger, desto besser und richtiger fühlt man sich. Wie sehr ist diese Mär auch in das Gemeindeleben eingedrungen. Wir Christen tun uns schwer, Menschen zu erreichen, weil wir nichts von ihnen brauchen. Jesus: freiwillig abhängig Mir kommt der gute Ratschlag in den Sinn, den ich einmal für den Beziehungsaufbau unter Orientalen erhielt: Es ist besser, zuerst dieMenschen zu besuchen als sie einzuladen. Der Rat rechtfertigt nicht, diese beiden wichtigen Beziehungspole gegeneinander auszuspielen oder Dinge zu verallgemeinern. Vielmehr beruht er auf der Erkenntnis, dass eine Schönheit darin liegt, wenn wir uns über das Empfangen begegnen. Ob wir wieder lernen können, Empfangende zu sein – möge es gesellschaftlich noch so unschicklich oder persönlich unangenehm sein? Jesus kommt vor mein inneres Auge. Er setzt sich an den Brunnen. Die Frau nähert sich. Er bittet sie um etwas zu trinken. Er ist der Bedürftige. Er braucht sie. So beginnt er mit ihr, nicht umgekehrt. Ich staune über Jesus. Hier ist wieder etwas, wofür ich ihn umso mehr liebe: Seine Menschwerdung beinhaltete, dass er zu einem wurde, der angewiesen war. In der Zeit, in der er Menschen so viel Segen gab, war er zugleich so abhängig von ihnen. Nichts anderes bedeutete das Leben als Wanderprediger, zumal noch mit Jüngern im Schlepptau. Seine Abhängigkeit geschah als bewusste Hinwendung, aus freien Stücken. Sie war zugleich eine bewusste Absage an eine selbst geschaffene Vollständigkeit. Jesus handelte nicht autonom – er handelte in Abhängigkeit von denen, die von ihm abhingen. Bedürftigkeit ist der Schlüssel Ich denke an meine Zeit als Gemeinschaftspastor direkt nach dem Studium. Etliche Gemeindeglieder umsorgten mich und luden mich zum Essen ein. Das mag vielleicht einen unselbstständigen Eindruck erweckt haben, in Wirklichkeit waren diese Stunden bedeutender als viele Gottesdienste. Was ich für sie tat, kam zusammen mit dem, was sie für mich taten. Wird eines von beidem überbetont, entsteht ein Ungleichgewicht. Diese Abhängigkeit beruht auf Gegenseitigkeit. Zurück zu unserer Arbeit Lubu beatz: Unser Part ist es, gemeinsam mit den jungen Erwachsenen die Musikbegleitung zu erstellen. Ihr Part ist es, Text und Stimme einzubringen. Das Lied entsteht erst, wenn beide Komponenten zusammenkommen. Eines ohne das andere ist unvollständig, wir hängen voneinander ab. Das wurde einer der Grundsteine für die „Lubu beatz Family“. Bedürftigkeit ist der einzige Schlüssel, der uns aus unseren selbst gebauten, möglichst souverän wirkenden Rollenmustern herausholen kann. Sie ist Nährboden und Raum der Liebe und Barmherzigkeit. Weil wir es von Musik und Abhängigkeit haben, sei auf das berühmte musikalische Märchen „Peter und der Wolf“ von Sergei Prokofjew verwiesen. Nachdem der Wolf gefangen wurde, schwebt der kleine Vogel über dem Triumphzug und ruft: „Seht nur, was wir beide, Peter und ich, gefangen haben!“ Recht hat er. Der kleine Vogel war für Peter so wichtig. Genauso werde auch ich kleiner Vogel plötzlich wichtig, weil unser großer Gott sich dieses Prinzip des Zusammenwirkens auf die Fahne geschrieben hat. Einfach großartig und so wundersam zugleich! Möge Gott mir diese Fahne weiterreichen, fest in meine Hand, und möge ich sie mit Stolz tragen. Ja, Abhängigkeit ist eine Tugend. Christian Danneberg l Christian und Bettina Danneberg gehören seit 2012 zum team „mission und Integration“ und sind in ludwigsburg tätig. christian leitet hier die interkulturelle musikarbeit „lubu beatz“. Vor seiner ausbildung am theologischen seminar der liebenzeller mission war er Industriekaufmann und studierte zwei semester Jazz- und Popularmusik. bettina ist Erzieherin von beruf. sie haben vier Kinder. rundbriefe erwünscht? www.liebenzell.org/ danneberg Jesus handelte nicht autonom – er handelte in abhängigkeit von denen, die von ihm abhingen. Da kommt eine Frau aus Samarien, um Wasser zu schöpfen. Jesus spricht zu ihr: Gib mir zu trinken! Denn seine Jünger waren in die Stadt gegangen, um Speise zu kaufen. Da spricht die samaritische Frau zu ihm: Wie, du, ein Jude, erbittest etwas zu trinken von mir, einer samaritischen Frau? Denn die Juden haben keine Gemeinschaft mit den Samaritern. Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wenn du erkenntest die Gabe Gottes und wer der ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken!, du bätest ihn, und er gäbe dir lebendiges Wasser. Johannes 4,7–10

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