darum geht’s franKreich 8 Nein, wir sind keine Klienten. Wir besuchen sie mit Hope & Joy. Pamela prostituiert sich. Im „echten“ Leben ist er tagsüber Ali*, ein Mann. Nachts ist er Pamela, eine Frau. Seine muslimische Familie in Algerien weiß nichts von seinem transsexuellen Doppelleben. Sie würde es nicht akzeptieren. Aus Angst behält Ali sein Geheimnis für sich. Seine Kindheit in Algerien war vollkommen „normal“. Die Familie zog nach Frankreich um, wo Ali zur Schule ging und Sommelier lernte. Obwohl er bereits damals spürte, dass er sich zu Männern hingezogen fühlt, heiratete er und wurde Vater. Weil es sich eben „so gehört“. Doch sein sexuelles Verlangen nach Männern wurde immer stärker, und Ali fühlte sich, als wäre er im falschen Körper gefangen. Anfangs versuchte er es zu unterdrücken, denn im Islam gilt ausgelebte Homosexualität als Sünde, die einem im schlimmsten Fall den Tod bringt. Ein neues Leben in der Großstadt – als Frau Ali gelang es nicht, dem sexuellen Drang zu widerstehen. Es kam, wie es kommen musste: Er trennte sich von seiner Frau, verließ somit auch seine kleine Tochter und zog weit weg. In Montpellier, dieser offenen, toleranten Stadt wollte er ein neues Leben beginnen – als Frau. Wie es später dazu kam, dass Ali/Pamela auf dem Straßenstrich gelandet ist, wissen wir nicht. Fakt ist jedenfalls, dass sie sich seit 15 Jahren prostituiert. Damit lässt sich viel Geld verdienen. Noch dazu mit etwas, das Pamela Spaß macht. Sex ist schon lange zu ihrer Sucht geworden. Wir engagieren uns bei Hope & Joy und versuchen, für Menschen wie Pamela da zu sein. Nachts besuchenwir sie auf der Straße an „ihrem“ Platz, den sie sich mit zwei anderen Transsexuellen teilt. Die Gruppe schützt sich gegenseitig. Zu ihr gehört auch Estelle*, eigentlich Amir*. Als erfolgreicher Anwalt hätte er es finanziell überhaupt nicht nötig, sich zu prostituieren. Auch er ist in seiner Abhängigkeit gefangen. nicht aufgeben, auch wenn wenig Hoffnung besteht Zwei Jahre lang kannte ich nur Pamela. Sie war immer die Zurückhaltendste der Gruppe. Meistens nahm sie mich zur Seite, wenn sie mir ihre persönlichen Anliegen nannte. Die Beziehung wuchs. Von langjährigen Teamkollegen von Hope & Joy hörte ich, dass sie für diese drei Transsexuellen kaum mehr Hoffnung haben. Sie begleiten sie schon über so viele Jahre hinweg auf der Straße, aber sie scheinen in ihrer Sucht gefangen zu sein. Dennoch hat Hope & Joy sie nie im Stich gelassen. Beten kann man auch, wenn der Glaube nur die Größe eines Senfkorns hat. Dann kam Corona Von heute auf morgen hatten die Prostituierten aufgrund einer strikten Ausgangssperre in Frankreich keine Einnahmequelle mehr. Wir verteilten über mehrere Wochen hinweg Lebensmittel: Sie kamen kurz zu unserem Auto, nahmen die gefüllte Einkaufstasche dankbar entgegen, wir beteten für sie und das war es. Bei Pamela aber lief es anders. Denn zu unserem Auto kam nicht Pamela, sondern Ali! Ich erkannte sie/ihn an den Augen. Ansonsten stand vor mir ein Fremder, aber gut aussehender und gepflegter Mann! Ich war innerlich zutiefst bewegt. Wie groß muss Alis Vertrauen zu uns sein, dass er uns in sein echtes Leben hineinblicken lässt! Doch es ging noch weiter. Ali lud uns nikolai (nick) und Claudia Bolanz leben mit ihren kindern luca und Joy seit 2018 in Montpellier/südfrankreich, um dort eine gemeinde zu gründen. nick studierte theologie am seminar der liebenzeller Mission und gründete danach zusammen mit anderen eine gemeinde in berlin. anschließend leitete er die „oase im reitbahnviertel“, ein sozial-missionarisches gemeindegründungsprojekt in neubrandenburg. claudia ist lehrerin und ausgebildete lebensberaterin. seit 2013 unterstützt sie nick bei der gemeindegründung. rundbriefe erwünscht? www.liebenzell.org/bolanz Wir treffen pamela* nachts am straßenrand. sie hat lange schwarze haare, ein wunderschönes gesicht und einen auffälligen Kleidungsstil, der darauf abzielt, aufmerksamkeit zu erregen. ihre augen strahlen, als sie uns erkennt. * namen geändert gemeinde geht ins rotlichtviertel transsexualität: 0,1 bis 0,3 prozent aller menschen in frankreich identifizieren sich nicht mit ihrem biologischen geschlecht und wollen ihren Körper durch hormonelle oder operative maßnahmen in übereinstimmung zur identität bringen. transsexuelle erleben immer wieder diskriminierungen. viele betroffene lehnen den begriff der transsexualität ab, da ihrer ansicht nach nicht die sexualität, sondern die identität im Zentrum steht. stattdessen bezeichnen sie sich als „transident“. 2018 kündigte die Weltgesundheitsorganisation (Who) an, die transsexualität in ihrem Krankheitskatalog ab 2022 nicht mehr als „psychische störung“, sondern als „Zustand im bereich der sexuellen gesundheit“ einzustufen. Zudem soll statt „transsexualität“ der begriff „geschlechtsinkongruenz“ benutzt werden. Quelle: www.planet-wissen.de *name geändert
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