MISSION weltweit – Ausgaben 2022

10 darum gehts JaPan Früher nutzte ich die Fahrt zu einer Sitzung, um mich innerlich darauf vorzubereiten. Die Heimfahrt half, wieder abzuschalten. Heute reiht sich manchmal eine Online-Sitzung an die nächste. Keine Zeit mehr für Small Talk, selbst die Kaffeepause verbringt jeder für sich. Ist die OnlineBesprechung beendet, sitze ich nach nur einem Klick alleine im Teamleiter-Büro. Ich kann die Ruhe des Alleinseins genießen, brauche sie manchmal auch zum Auftanken. Trotzdem fehlen mir der Austausch über Alltägliches und „handfeste“ Begegnungen! Wie geht es wohl denen, die Beziehungen brauchen, um emotional Kraft zu tanken – und erst denen, die bereits vor der Pandemie einsam waren?! Zu wem gehörst du? In kollektivistischen Gesellschaften wie Japan ist die Gruppe stets wichtiger als der Einzelne. Beziehungen spielen eine enorme Rolle. Vor der Frage: „Wer bist du?“, kommt zunächst diese: „Zu wem gehörst du?“ Die Beziehungen zur Familie, zu Freunden und zu offiziellen Institutionen beeinflussen nicht nur stark das Verhalten der Japaner, sie geben ihnen auch ihre Identität. Die Gruppe übernimmt korrektive Verantwortung für das Verhalten ihrer Mitglieder, und die Bedeutung und der Wert des Einzelnen bestehen in seinem Nutzen für die Gemeinschaft. Teil der japanischen Gesellschaft zu sein bedeutet, sich gleichförmig zu verhalten, die gleichen Vorstellungen und Ideale zu haben. Wer sich anders verhält oder denkt, steht in einem grundlegenden Widerspruch zur Gesellschaft als Ganzes und gilt als störendes Mitglied. Ein japanisches Sprichwort bringt dies sehr treffend auf den Punkt: „Der herausstehende Nagel wird eingeschlagen.“ Diese Weltanschauung stellt viele Christen in Japan vor zahlreiche praktische Herausforderungen. Zwei Beispiele: Die meisten Schüler der Mittel- und Oberstufe sind Mitglieder in einem Club, der sich nach der Schule und an Wochenenden trifft. Er ist oft wichtiger als die persönlichen Wünsche. Wenn ein Christ sonntags dem Training im Club fernbleibt, um in die Kirche zu gehen, hat das häufig die Folge, dass ihm/ihr misstraut wird und er/sie an Wettkämpfen nicht teilnehmen darf. welche Beziehungen stiften identität? „man weiß erst, was man hat, wenn es einem genommen wird“, sagt ein sprichwort. besonders deutlich erlebte ich dies in bezug auf begegnungen während der Pandemie. anfangs konnte ich das langsamere tempo noch genießen. doch mit jeder neuen infektionswelle änderte sich mein empfinden. in diesem Beitrag greife ich – mit freundlicher genehmigung der Verfasserin – teile eines Artikels von rachel hughes auf: „Japanese worldview: identity in a collectivist society“. er wurde in der von JemA (Japan evangelical missionary Association) herausgegebenen Zeitschrift „Japan harvest“ veröffentlicht (winterausgabe 2021, seite 10–12). Die Gleichförmigkeit in Aussehen und Verhalten erlebt man am eindrücklichsten auf einem überfüllten Bahnsteig. foto: AnDreAs gross

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