6 darum gehts Japan Die Ursache war schnell gefunden: An meiner Wasserflasche hatte sich der Deckel geöffnet und den Rucksack in eine triefende Gießkanne verwandelt. Besonders ärgerlich war das, weil ich die nagelneue japanische Bibel eingepackt hatte. Sie trocknete zwar wieder, aber die dünnen Seiten verwandelten sich in wellige, dann starre Blätter. Natürlich gibt es Schlimmeres, aber diese Seiten meiner Bibel erinnern mich an manche großen und kleinen „Enttäuschungswellen“, die wir bisher in Japan erlebten. Ein japanischer Begriff für Enttäuschung ist „shitsubou“ 失望. Das Wort setzt sich aus den Schriftzeichen für „abhandenkommen“ und „Hoffnung“ zusammen. Demzufolge bedeutet Enttäuschung also „Hoffnung, die abhandengekommen ist“. Diagnose: Akute Japanisch-Allergie Das erste Mal, als ich das in Japan buchstäblich erlebte, war nach der ersten großen Prüfung in der Sprachschule. Trotz intensiver Vorbereitung reichte es am Ende nicht, ich fiel haushoch durch, war maßlos enttäuscht und ging die nächsten zwei Tage nicht in die Schule. Tabea entschuldigte mein Fehlen mit einer „akuten Japanisch-Allergie“. Ich war nicht nur von mir selbst, sondern auch von Gott enttäuscht und stellte meine ganze Berufung nach Japan infrage. So war das aus meiner Sicht nicht abgemacht! Noch vor dem ersten Schultag hatte ich mit Gott einen Deal vereinbart: Sollte ich alle Prüfungen bestehen, dann wäre das für mich die klare Bestätigung, dass ich als Missionar hier richtig bin. Spätestens jetzt merkte ich, dass dieser Handel sehr einseitig gewesen war. Ich war so enttäuscht, weil die Dinge nicht so liefen, wie ich es wollte. Die schlimmsten Enttäuschungen Die schmerzhaftesten Enttäuschungen waren aber immer die, die mit Menschen aus unserem näheren Umfeld zu tun hatten. Takeshi*, ein ehemaliges Mitglied der Yakuza, der japanischen Mafia, war lange Zeit im Rotlichtviertel von Tokio zu Hause. Nach einem körperlichen Zusammenbruch stieg er aus dieser Welt aus und lebte wieder bei seinen Eltern, ganz in der Nähe unserer Gemeinde. In dieser Zeit Wenn die Hoffnung abhandenkommt „So ein Mist!“, dachte ich an einem Sonntagmorgen kurz vor Gottesdienst-Beginn. Das sind vielleicht nicht die besten Gedanken, um sich auf Lobpreis und Predigt einzustimmen, aber sie waren immerhin ehrlich. Gerade hatte ich mich auf meinen Platz gesetzt, aber dann bemerkt, dass sich auf dem Boden vor mir eine große Pfütze bildete. *Name geändert
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