MISSION weltweit – Ausgaben 2022

26 LiebeNzeLLer missiON aKtueLL sich nicht doch ein Türchen für die Einreise von Ehepaar Mack und Schwester Helga Thürauf auftun würde. Nun war durch den tragischen Unfall auch diese Hoffnung entschwunden. So fuhr ich enttäuscht nach Hause und wollte wenigstens mein dienstfreies Wochenende etwas genießen. Während des Mittagessens kam ein Anruf vom Innenministerium mit der Bitte, ihren toten Kollegen in sein Heimatdorf zur Beerdigung zu fahren. Das Dorf lag rund 300 Kilometer südlich von Dhaka. Verärgert dachte ich: „Hat denn die bangladeschische Regierung kein Auto? Warum sollte ich den Toten quer durchs Land fahren, dazu noch an einem meiner wenigen freien Wochenenden?“ Ich rief meinen amerikanischen Freund Phil Parshall an und erzählte ihm die ganze Geschichte. Sein Ratschlag war: „Tu’s einfach! Weißt nie, wozu es gut ist!“ Sieben Stunden Fahrt mit einem Leichnam So fuhr ich den schon übel riechenden Leichnam bei 40 Grad Hitze in einer offenenHolzkiste rund sieben Stunden lang gen „tu‘s einfach! Weißt nie, wozu es gut ist!“ albert rechkemmer war in den 1970er-Jahren einer der ersten Liebenzeller missionare in bangladesch. in seinem tagebuch findet sich die tragische ermordung von missionar hans Werner während des baus der Poliklinik in shantikutir, aber auch die bewegende Versöhnung des mörders mit christel Werner, der Witwe. Viele andere beklemmende situationen wurden notiert – und überwältigende erfahrungen von gottes eingreifen. Jetzt sind diese erinnerungen in einem kleinen, lesenswerten buch erschienen. daraus hier ein auszug. Meistens gelang es noch rechtzeitig, dass die Einreisegenehmigungen und Visaverlängerungen für weiteres Liebenzeller Personal erteilt wurden. Doch bei Heinz und Heidemarie Mack und Schwester Helga Thürauf ging die Rechnung nicht auf. Die Kirche befürwortete ihr Kommen, die Regierungsstellen lehnten ab. Die einzige Möglichkeit, die uns auch in dieser Situation blieb, war beten, wie es in der Liedzeile von Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf heißt: „Der Glaube bricht durch Stahl und Stein und kann die Allmacht fassen.“ So beteten wir gemeinsam mit Freunden der Liebenzeller Mission in Deutschland und im Ausland. Doch die Zeit der Ungewissheit blieb uns nicht erspart. Wir gaben aber nicht auf! Trotz wiederholter Nachfrage bei der Visabehörde blieb es beim Nein mit der Begründung: „Eine Visaerteilung ist nur möglich als Ersatz für nach Deutschland zurückgekehrte Personen.“ Durch einen Unfall kam alles anders! Am Samstag, 24. September 1977, fuhr ich morgens mit Jerry Parsley von ICF1 zur Visabehörde. Wir hatten ausgemacht, dass ich draußen warten und er mit seinem Antrag auch den von Ehepaar Mack und Schwester Helga Thürauf einreichen würde. Während ich wartete, stürzten auf einmal Männer aus dem Gebäude auf unseren Kleinbus zu. Sie baten mich, sie schnell an die Straßenkreuzung Airport Road/New Eskaton Road zu fahren. Dort wäre einer ihrer Kollegen tödlich verunglückt. An der Kreuzung angekommen, sahen wir viele Menschen um einen Toten mit aufgespaltenem Schädel herumstehen. Beim Überqueren der Straße war er von einemBus frontal erfasst worden, und der Fahrer hatte – wie hier meistens – Fahrerflucht begangen. Als die Beamten ihren toten Kollegen versorgt hatten, fuhr ich sie schweigendzurück zur Visabehörde. Eigentlich wollte ich an diesemSamstag noch einmal versuchen, ob Süden. Eine am Fenster befestigte rote Fahne räumte mir an den Flussfähren Vorfahrt ein, die auch an gefährlichen Kreuzungen per Dauerhupe erzwungenwurde. Zu allem Elend brach 37 Kilometer vor dem Ziel der Keilriemen unseres Autos. Über Umwege, zuletzt mit einem „Babytaxi“2, fuhr ich mit dem Neffen des Toten zu Missionar Art Kamhuis. Obwohl er gerade bei der Predigtvorbereitung war, kam er mit uns zum liegen gebliebenen VW-Bus. Und er kannte einen bangladeschischen Automechaniker, der die Reparatur machen konnte. Um 0:38 Uhr, also mitten in der Nacht, kamen wir im Heimatkreis des Toten an, wo uns die Angehörigen wegen der sehr aufgeweichten, streckenweise unbefestigten und unbefahrbaren Straßen auf dem Kanal mit ihren Booten entgegenkamen. Auf dieser letzten Wegstrecke ergab sich ein gutes Gespräch mit ihnen über die Zeit nach dem Tod. Die Beerdigung fand noch in der gleichen Nacht statt. Trotz des Klagegeschreis konnte ich auf der harten Holzpritsche im Nachbarhaus etwas schlafen. Der verstorbene Beamte hinterließ seine Frau und zwei goldige Kinder, einen dreijährigen Sohn und eine siebenjährige Tochter. Ich nahm die Kinder auf den Schoß und versuchte, sie zu trösten. Nach einemGebet mit der Witwe und tröstenden Worten fuhr ich am Sonntagmorgen wieder bei großer Hitze die sieben Stunden über Brücken und mithilfe von Flussfähren nach Dhaka zurück. Trotz aller Erfahrungen, Hilfe und Bewahrungen während dieser halsbrecherischen Fahrt stellte ich müde und mit einem Grummeln im Herzen das Fahrzeug im Schuppen ab: Müde wegen des mangelnden Schlafs und sauer, weil das freie Wochenende, das es wegen Predigtterminen selten genug gab, weg war. Aber das war nicht das Ende der Geschichte! Einige Tage später gab es ein Nachspiel … 1 iCf: international Christian fellowship, eine amerikanische missionsgesellschaft, die Bibel-korrespondenz-kurse anbietet. 2 Baby-taxi: Dreirädrige auto-rikscha, auch tempo genannt. Albert Rechkemmer (hinten in der Mitte, mit Brille) bei der Einweihung der Klinik in Mallikbari

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