MISSION weltweit – Ausgaben 2022

17 kanada darum gehts mission weltweit 3–4/2022 Vergangenen Herbst waren wir mit unserer Gemeinde Müll sammeln. Eine Helferin bemerkte, dass sich welcher in einem Abwassergitter verfangen hatte und kurz davor war, in die Kanalisation gespült zu werden. Als sie den Dreck in ihre Tüte stopfte, stockte sie und lächelte: „Schau dir das an! So ein schönes Stückchen Müll. Das ist perfekt für mein Tagebuch!“ In ihrer Hand hielt sie den abgebildeten Fetzen. „Und da steht sogar das Wort ‚Liebe‘ drauf“, stellte sie fasziniert fest. Behutsam steckte sie das Stück in einen Handschuh, um es zu Hause zu trocknen und als Kunstwerk in ihrem Tagebuch zu verewigen. Wie viele Menschen – ich eingeschlossen – fühlen sich immer wieder wie dieser Müllfetzen. Manche kämpfen damit, dass sie von anderen ausgeschlossen, gar weggeworfen werden. Andere sehen keinen Sinn in dem, was sie tagein tagaus tun. Nur zu häufig leiden Menschen unter den Entscheidungen derer, die sich weder um die Person noch um ihre Gefühle scheren. Beispiele aus Kanada: Lehrern wird vorgegeben, das doppelte Pensum zu arbeiten. Migranten wird verboten, nach Hause zu fliegen. Eltern werden genötigt, ihre Zeit für die Arbeit zu opfern, um teure Kindertagesstätten bezahlen zu können. Ständig wird mehr verlangt, doch nur selten Unterstützung angeboten. Wenn wir uns fragen, wo in der westlichen Welt „das Böse“ sichtbar wird, könnte man schnell auf den offensichtlichen Missbrauch von Macht, Sex und Drogen hinweisen. Diese sind nur die Spitze des Eisbergs. Die breite Masse kämpft täglich mit Anforderungen, die zu erdrückenden Überforderungen werden. Die emotionale und mentale Gesundheit der westlichen Welt geht langsam den Bach hinunter. Wir erliegen täglich der Gesellschaftslüge: Du bist nur wert, was du dir verdienst. Unser Selbstwert zerbricht an den Erwartungen und Ansprüchen unserer Umwelt – am Arbeitsplatz, bei kompetitiven Freizeitangeboten, in Familie und Partnerschaft, selbst in unseren Kirchen. Als ich mich eines Tages wie der größte Versager fühlte, hatte ich ein Gespräch mit meinem Mentor. Normalerweise will man uns weismachen, dass wir so schlecht nicht sind. Talente und Erfolge werden aufgezählt. Mein Mentor aber sagte: „Wenn du dich wie ein Versager fühlst, bist du ein Versager. Predige deshalb das Evangelium.“ Paulus beschreibt dieses in Römer 5,8: „Wie sehr Gott uns liebt, beweist er uns damit, dass Christus für uns starb, als wir noch Sünder waren.“ Wo Zerbrochenheit und Versagen unser Selbstbild prägen, sieht Jesus uns noch immer an wie unsere Helferin ihr Fundstück: mit Faszination und Wertschätzung. Selbst wenn wir uns fühlen wie ein Häufchen Elend, sind wir in seinen Augen ein Kunstwerk. Selbst wenn andere uns mit Worten und Taten einreden, dass wir nutzlos sind und uns „wegwerfen“, lässt Jesus nicht zu, dass wir die Kanalisation hinuntergespült werden. In unseren schwierigsten Momenten tritt er in unser Chaos und Versagen hinein, hebt uns behutsam auf. Das Erste, was in seinen Sinn kommt, ist: geliebt! Wir haben es nicht verdient, aber wir sind es IHM wert. Dieses Evangelium muss ich zuerst mir selbst predigen und dann den Menschen um mich herum. Es macht Müllfetzen zu Kunstwerken, setzt Zuspruch vor Anspruch und bringt Hoffnung in eine Welt voll Versagen. Ben Schöniger l Benjamin und Julia Schöniger sind seit august 2020 in einem gemeindegründungsprojekt für junge Menschen aus vielen kulturen im norden torontos tätig. Ben studierte evangelische theologie an der internationalen hochschule liebenzell und an der evangelischen hochschule tabor, julia familienwissenschaften in den usa. rundbriefe erwünscht? www.liebenzell.org/ schoeniger auch das ist böse! Fühlst du dich manchmal am boden, unfähig oder nutzlos? als ob du nichts brauchbares vorzuweisen hättest? oder weil die Welt dir zeigt, wie unbedeutend und schwach du eigentlich bist? Willkommen im klub! Ein Müllfetzen wird zum Kunstwerk. Junge Leute aus der Gemeinde in Toronto sammeln Müll. fotos: BenjaMin schÖniger

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