MISSION weltweit – Ausgaben 2022

24 ratlos Es scheint, als gäbe es nur noch Schwarz und Weiß. Wer anders denkt, wird diffamiert oder lächerlich gemacht. Häme und Hetze bestimmen viele Diskurse in den Medien. Die Verantwortung dafür schieben wir gerne auf „die anderen“ ab. Bereits 2016 bemerkte Lenz Jacobsen in der ZEIT: „Die Hetzer sind immer die anderen.“ Ein Wut-Christentum hat keine Verheißung Leider ist es unter Christen kein Haar anders. Nur kommen zu den bekannten Stichworten noch ein paar weitere dazu: Ehe für alle, Abtreibung, Islam, Bibelkritik, Fundamentalismus … All das sind wichtige Themen, keineswegs beliebig, aber die Art und Weise, wie viele Debatten geführt werden, ist beschämend. Es wird kommentiert und karikiert, verzeichnet und verleumdet, gelästert und gelogen. Oft werden nur Schlagzeilen gelesen, und dann wird auf Facebook und Co. hemmungslos zugeschlagen. Wir Christen sind, mehr als uns lieb sein kann, vom Zeitgeist der kollektiven Erregung bestimmt. Neben das Wut-Bürgertum tritt ein Wut-Christentum. Das aber hat keine Verheißung. Verstörend, verantwortungslos, verheerend … „Die unbarmherzigen Frommen“ auf Facebook und Co. – so hat die Redaktion das Phänomen benannt, zu dem ich hier schreiben „die unbarmherzigen Frommen“ auf Facebook & co. soll – sie machen „ratlos“. Es ist geradezu verstörend, wie zum Teil vertraute Persönlichkeiten auf Abwege geraten und zu Politakteuren werden, unseriösen Stimmen eine Bühne geben, populistische bis extremistische Quellen zitieren und damit viele verunsichern, ja sogar verführen. Es ist verantwortungslos, wie zum Teil im Namen von Bibel und Bekenntnis oder im Namen der Wissenschaft gegen Schwestern und Brüder Stimmung gemacht und Misstrauen gesät wird. Zitate werden aus dem Zusammenhang gerissen. Feine, aber entscheidende Unterscheidungen werden plattgewalzt. Aussagen werden verzerrt, Personen verdächtig gemacht, ganze Werke diskreditiert. Es ist verheerend, wie alles schnell getippt, auf Video aufgenommen und in die mediale Welt geschickt wird. Dieses Gebaren ist eine unselige Mischung aus einem meist hohen Geltungsbedürfnis, manchmal begrenzter Sachkenntnis und zugleich sehr ausgeprägtem Sendungsbewusstsein der jeweiligen Akteure. Das sind genau die Eigenschaften, die die sozialen Medien befördern und die so unsozial wirken. Gereizt statt gelassen Damit wir uns recht verstehen: Um die Wahrheit muss gerungen werden. Klarheit in der Sache hilft und gibt Orientierung. Eine falsche Harmonie will niemand. Es geht auch nicht darum, einzelne Worte auf die Goldwaage zu legen; jeder und jede vergreift sich einmal im Ton oder in der Wortwahl. Es geht um Grundlegendes: In aller Regel sind die Themen komplex, sensibel und vielschichtig. Wir werden der Sache und den Menschen nicht gerecht, wenn wir nur Parolen verbreiten. Was uns abhandenkommt, ist die Fähigkeit zu differenzieren. Wo aber die Differenzierung schwindet, hat es die Wahrheit schwer. Wir versäumen es, auf andere zu hören, besonnen und nüchtern abzuwägen und gelassen zu bleiben. Bevor wir ein Gespräch beginnen, sind wir „corona, klimawandel, Flüchtlinge, gender …“ – ein paar stichworte genügen, und die Wogen gehen hoch. mehr empörung war selten. in unseren öffentlichen debatten herrscht „die große gereiztheit“, wie der tübinger medienwissenschaftler bernhard pörksen treffend markiert. foto: istockphoto/DeepBlue4you

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