MISSION weltweit – Ausgaben 2023

liebenzeller mission aktuell mission weltweit 7–8/2023 19 WEITERDENKEN >> sonderbeitrag zum thema von rita mattmüller „Snapshot“ – Schnappschuss. So nennt der Psychologe Phil Stutz1 innere Wunschvorstellungen, auf die wir bewusst oder unbewusst hin leben in der Hoffnung, es dann geschafft zu haben, dann glücklich zu sein, dann zu überwinden, was uns so lange an belastenden Erfahrungen aus der Vergangenheit nachgehangen hat. Das Bild in dieser Vorstellung ist jedoch ein Standbild. Ein Zustand, der selten genau so erreicht und noch seltener über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten werden kann. Manchmal tarnt sich der „Schnappschuss“ als Erinnerung. „Früher“ war zwar nicht alles besser. Aber es müsste doch möglich sein, wieder an angenehmere Lebensabschnitte anzuknüpfen und das Glück da zu suchen, wo es scheinbar verloren ging. Täglich erleben wir, dass Wunschvorstellungen nicht erreicht werden. Die versprochene „Bikinifigur in 15 Wochen“, der erhoffte Meistertitel für die Lieblingsmannschaft, die brillante Geschäftsidee, der Durchbruch als Popstar und leider auch Ehen einstiger Traumpaare oder langjährige Freundschaften – Vorhaben scheitern, Träume platzen, Unterfangen müssen aufgegeben oder zumindest die Erwartungen an den wahrscheinlichen Ausgang nüchtern evaluiert werden. Die große Angst vor dem Versagen Unsere persönlichen Missgeschicke sind kaum vergleichbar mit den humanitären Katastrophen, die menschlichem Scheitern auf der Bühne der Weltpolitik folgen können, – aber unsere Gefühlswelt scheint der rationale Vergleich nicht zu beeindrucken: Der Blick auf das „viel schlimmere“ Leid anderer Menschen führt nicht automatisch zu mehr Dankbarkeit über das eigene Schicksal. Allen Lebensweisheiten wie „Dabeisein ist alles“ und „Aus Fehlern lernt man am besten“ zum Trotz – die Angst zu versagen gehört zu den am meisten verbreiteten und mächtigsten Kräften, die unser menschliches Miteinander bestimmen. Verständlicherweise. Von klein auf wird uns beigebracht, Fehler zu vermeiden. „Wer nicht hören will, muss fühlen“, hieß es früher und „Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen.“ Wer will schon vom Leben bestraft und von Menschen verlacht werden? Oder gar durch „menschliches Versagen“ an einem großen Unglück schuld sein? Der unbewusste Anspruch, Fehler zu vermeiden, engt Lebensfreude ein und bringt oft Stillstand statt Wachstum. „Christen sind nicht besser, aber sie sind besser dran.“ So entgegnen manche dem Vorwurf, gerade „die Kirche“ sei kein gutes Vorbild, wenn es um den verantwortungsbewussten Umgang mit Fehlern und Schuld gehe. Es stimmt, Christen sind wirklich nicht „besser“ als der Rest der Welt. Davon erzählt schon die Bibel an vielen Stellen. Im Unterschied zu anderen Quellen finden sich in der Bibel jedoch sehr befreiende Perspektiven zum Umgang mit menschlichem Versagen. „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“ (2. Korinther 12,9) klingt ganz anders als eine „Nur die Harten kommen in den Garten“-Einstellung, die unsere Gesellschaft lange prägte. „Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht in das Himmelreich hineinkommen“, sagt Jesus in Matthäus 18,3. Er stellt damit Prinzipien auf den Kopf, die auch in christlichen Gemeinden und Organisationen unter dem Etikett der „Professionalität“ und „Modernisierung“ den Umgang mit Ressourcen und das Miteinander prägen. Der Spagat zwischen Prinzipien, die uns sonst in der Gesellschaft prägen, und den radikalen Perspektiven der Bibel ist nicht einfach zu schaffen. Zu viele Interessen gilt es zu berücksichtigen, zu viele persönliche Empfindungen und Bedürfnisse wahrzunehmen. Da passieren Fehler. Da gibt es Konflikte. Da kollidieren manchmal Vorstellungen. Auch Projekte, die im Vertrauen auf Gottes Leitung angegangen wurden, können scheitern. „Menschen sind wie Teebeutel: Man weiß nicht, was der Inhalt ist, bis sie im heißen Wasser sitzen.“ So zitiert Harry Müller eine unbekannte Quelle2 in Bezug auf Probleme in unseren Gemeinden und unserem Glaubensleben: „Glaube wird geläutert, wenn die Umstände sich anders entwickeln, als wir geplant haben. Es ist einfach, zu glauben, wenn alles so läuft, wie wir es wollen.“3 In Bezug auf Teebeutel wissen wir, dass nur heißes Wasser zu einem wirklich guten Ergebnis führt. In unserem eigenen Leben wünschen wir uns eher Harmonie als Hitze. Wenn es trotzdem mal hitzig zugeht, gibt eine von biblischen Grundsätzen geprägte Perspektive Hoffnung. Sie wirft jedoch auch Fragen auf: Wie sehe ich mich selbst, andere und Gott, wenn l ein Vorhaben scheitert, zu dem ich mich von Gott berufen fühlte? l eine Beziehung zerbricht, die ich als von Gott geschenkt und gesegnet empfand? l mein Glaube anscheinend nicht ausreicht, um gelassen durch eine Zeit der Ungewissheit zu gehen? l ich mir eine Niederlage eingestehen muss? l ich Schuld auf mich geladen habe? Wir zitieren gerne biblische Aussagen in der Annahme, uns damit auf die Seite des Gottvertrauens zu begeben und uns über „menschliche Vernunft“ zu erheben. Der Widerspruch zwischen unseren Glaubensüberzeugungen und unserer Gefühlswelt kann uns aber in innere Konflikte stürzen lassen. Auch wenn l ich mich für Vergebung entscheide, tut ein Vertrauensbruch lange weh. l ich in „Schätze im Himmel“ investiere, fehlt mir manchmal Geld. l ich meine „Identität in Gott“ suche, kann mich mein Äußeres zur Verzweiflung bringen. l ich alle meine Bemühungen „in Gottes Hand lege“, blamiere ich mich nicht gerne. l ich „Gott mehr gehorche als den Menschen“, kostet es Kraft, im Gegenwind vorwärtszukommen. l mir „alle Dinge zum Besten dienen“, kann mich ein schwerer Verlust tief erschüttern. l ich glaube, dass bei Gott immer ein Neuanfang möglich ist, kann mich das Erleben von eigenem Versagen mit Scham und Angst erfüllen. Gottes Wort: weder Formel noch Kochrezept Diese scheinbaren Widersprüche bedeuten nicht, dass ich mir selbst, anderen Menschen und Gott nicht vertrauen kann. Sie bedeuten auch nicht, dass ich ein schlechter Christ bin 1 Vgl. stutz, Phil/michels, Barry: the tools. Wie sie wirklich selbstvertrauen, lebensfreude, Gelassenheit und innere stärke gewinnen, Goldmann 2015. 2 Vgl. müller, Harry: schwierigkeiten sind möglichkeiten. Wie man aus stolpersteinen Bausteine macht, Hänssler, 21993. 3 müller, Harry: schwierigkeiten sind möglichkeiten, s. 137. Grosses Foto: istoCk.Com/antaGain · kleines Foto: atelier arnold/CCVision

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