liebenzeller mission aktuell mission weltweit 9–10/2023 19 weiterdenken >> sonderbeitrag zum thema von roland deines Foto: istockphoto/bpperry In der Zwischenzeit habe ich eine weite Reise durch die Literatur und die Bibelstellen zur Hölle hinter mir. Das tat mir gut und ich habe viel gelernt, vor allem über falsche Höllenbilder. Ich habe gesehen, dass viele Bibelübersetzungen (nicht zuletzt die von mir sehr geschätzte Lutherbibel) von der Hölle reden, wo eigentlich „nur“ das Totenreich gemeint ist. Selbst manche Gesangbuchlieder, die ich gerne gesungen habe, werde ich nun mit etwas größerer Zurückhaltung singen, weil sie mehr über die Hölle zu wissen vorgeben, als in der Bibel steht. Die Hölle als Folterkammer Es gibt viele Bücher, Lieder, Bilder, Texte und Vorstellungen über den Himmel und noch drastischere über die Hölle. Bei manchen laufen ganze Filme im Kopf ab, wenn sie das Wort „Hölle“ hören. Verstörende Bilder von Menschen, die von fratzenhaften Teufeln lustvoll gepeinigt werden, sitzen vielen ganz tief im Bewusstsein, weil solche Darstellungen – in Bild, Schrift und Predigt – in der christlichen Frömmigkeitstradition eine große Rolle spielten. Die Hölle wurde nicht selten mit drastischen Bildern in Evangelisationspredigten ausgemalt, um Menschen zur Bekehrung zu motivieren. Schon seit dem 2. Jahrhundert nach Christus tauchen solche extremen Gewaltbilder in christlichen Texten auf, in denen beschrieben wird, wer wie für welche Sünden bestraft wird. Um nur eines dieser verstörenden – und unbiblischen! – Bilder aus der sogenannten „Offenbarung des Petrus“ zu zitieren: „Etliche waren an ihrer Zunge aufgehängt. Das waren die, welche den Weg der Gerechtigkeit gelästert hatten, und unter ihnen lag Feuer, das loderte und quälte sie.“ Solche Schilderungen gibt es in diesem Text seitenweise. Diese Vorstellungen verdanken sich jedoch nicht der Bibel, sondern gehen auf die römische Antike zurück. Der Dichter Vergil wirkte zurzeit des Kaisers Augustus und damit in unmittelbarer zeitlicher Nachbarschaft zu Jesus. Vergil schrieb die erste detaillierte Höllenschilderung. Darin berichtet er von einem Gang durch das Totenreich, den die Hauptfigur seines Epos, der Trojaflüchtling und Stammvater Roms, Aeneas, unternehmen durfte, um seinen verstorbenen Vater zu sehen, der ihm die zukünftige Herrlichkeit Roms vorhersagte. Dabei kommt Aeneas an eine Weggabelung. Rechts geht es zu den Gefilden der Seligen und links in den Tartarus, wo die Menschen für ihre Missetaten in ewiger Qual leiden. Da wird mit drastischen Farben geschildert, wie den Hungernden ein Festmahl vorgesetzt wird, von dem sie nicht essen dürfen, wie sie in beständiger Angst vor herabfallenden Felsen existieren und ihre Taten vergeblich bereuen. Auch in der jüdischen, nichtbiblischen Literatur dieser Zeit entstanden zum Teil solche Schilderungen. Beides fand sehr schnell Eingang in die christliche Vorstellungswelt, die ab dem Mittelalter auch in Bildern vorwiegend in Kirchen verarbeitet wurden. Dazu kamen populäre Bücher, durch die diese Vorstellungen quasi zum christlichen Allgemeingut geworden sind: Die göttliche Komödie von Dante Alighieri († 1321) ist die Beschreibung einer Reise in die neun-gestufte Unterwelt und anschließender Himmelsreise; Das verlorene Paradies von John Milton (1608–1674) beschreibt den Höllensturz der gefallenen Engel, und auch Die Pilgerreise von John Bunyan (1628– 1688) enthält einprägsame Bilder vom Schicksal der Verlorenen. Schaut man das Evangelische Gesangbuch nach dem Stichwort „Hölle“ durch, dann fällt auf, dass sich die meisten Belege in Liedern aus dem 17. Jahrhundert finden. Das war das Jahrhundert des Dreißigjährigen Krieges mit seinen bis dahin unvorstellbaren Schrecken und Gräueltaten. Die Erfahrung, dass viele dieser bestialischen Handlungen ohne irdische Strafe blieben, hat das Verlangen genährt, dass wenigstens nach diesem Leben die Übeltäter ebenso gequält und malträtiert werden. Die Straffantasien, die sich mit der Hölle verbinden, sind darum in gewisser Weise ein Schrei nach Gerechtigkeit und Wiedergutmachung für erlittenes, ungesühntes Unrecht. Dass diese literarischen Höllenschilderungen so stark die moderne Vorstellungswelt prägen, liegt auch an den eindrucksvollen Illustrationen des französischen Malers und Grafikers Gustav Doré (1832–1883), der u. a. Dante, Milton und die Bibel mit großem Erfolg illustriert hat. Bis heute sind seine Buchausgaben im Buchhandel zu finden. Menschen können verzweifeln, die solche Bilder im Kopf haben und sich möglicherweise vorstellen, dass mit solchen Strafen die Ungläubigen schon jetzt und für immer gequält werden. Besonders dann, wenn sie um Freunde oder Angehörige trauern, die gestorben sind, ohne dass sie Jesus als ihren Herrn und Heiland bekannten. Aber diese Vorstellungen und Bilder sind falsch. Denn: Der Himmel lässt grüßen Vereinfachend gesagt, liegt vor Himmel und Hölle das Totenreich (biblisch She’ol bzw. Hades), in dem die Verstorbenen die Zeit bis zur Auferstehung zum Jüngsten Gericht verbringen. Erst nach dem Totenreich trennen sich die Wege endgültig: Es gibt den Weg, der ins Leben führt und den Weg, der ins Verderben führt (Matthäus 7,13–14). Wenn also die Verstorbenen nach dem Tod noch nicht endgültig an ihrem ewigem Verbleib angekommen sind, egal ob Himmel oder Hölle, dann stellt sich die Frage, ob es im Totenreich als einem – wenn man so will – zwischenzeitlichen und zwischenörtlichen Bereich überhaupt Unterschiede gibt? Oder anders: Darf ich mich als glaubender Mensch auf das freuen, was mich nach dem Tod erwartet? Das lässt sich vom Neuen Testament her mit großer Zuversicht bejahen, auch wenn die genauen Zustände und Umstände nicht völlig deutlich sind. Entscheidend ist, dass alle Beschreibungen dieser Zwischenzeit vor der Vollendung positiv gestimmt sind: Da ist von „Abrahams Schoß“ die Rede, in dem derjenige getröstet wird, der im Leben Schweres zu tragen hatte (Lukas 16,22f). Jesus verspricht dem Mitgekreuzigten, dass er „heute“ schon mit ihm „im Paradies sein“ wird, d. h. es wird eine Gemeinschaft mit Jesus geben (Lukas 23,43). Paulus freut sich darauf, mit seinem Leben ans Ziel zu gelangen, „um daheim zu sein beim Herrn“ (2. Korinther 5,8) bzw. „mit Christus zu sein“ (Philipper 1,23). Denn das „Bürgerrecht“ der Gläubigen ist im Himmel (3,20). Zwar ist er noch nicht da, aber er hat dort Wohnrecht, weil Jesus hier für alle, die zu ihm gehören, „Bleiben“ bereitet hat (Johannes 14,2), damit wir bei ihm sein können. Die Initiative (vgl. 14,3f) geht ganz allein von Jesus aus: Er will bleibende Gemeinschaft im Himmel mit denen haben, bei denen er schon auf der Erde war. Dennoch wissen Paulus und Johannes, dass die Vollendung in der Erst nach dem Totenreich trennen sich die Wege endgültig: Es gibt den Weg, der ins Leben führt und den Weg, der ins Verderben führt.
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