20 dr. Christoph Schrodt war über 20 Jahre lang pastor im Bund Freier evangelischer gemeinden und ist seit 2019 wissenschaftlicher mitarbeiter im Bereich praktische theologie an der internationalen hochschule liebenzell (ihl). er ist verheiratet mit annette und vater von sechs kindern. weiterdenken >> sOnderBeitrag zum thema vOn dr. christOph schrOdt Und warum nein? Weil wir als Christen „zuerst nach demReich Gottes trachten“ (Matthäus 6,33). Wir können gar nicht anders, als zu fragen, wo ganz konkret „unser Platz“ im Leben ist. Wohlgemerkt, das „Reich Gottes“ ist weder identisch mit der Gemeinde noch mit dem „vollzeitlichen Dienst“. Egal, wo dieser Platz ist – wir haben das Bedürfnis, etwas beizutragen, wollen uns mit unseren Gaben und Leidenschaften einbringen. Hier öffnet sich allerdings ein großes Spektrum von unterschiedlichen Empfindungen und Bedürfnissen: Für manche Menschen reicht es, dass sie seit ihrer Kindheit wissen, dass sie einmal Landwirt oder Musikerin, Theologe oder Pastorin werden wollen. Diese Gewissheit ist einfach da, ein besonderes Berufungserlebnis brauchen sie nicht. Andere Menschen erleben irgendwann einen plötzlichen Perspektivenwechsel, der große Veränderungen mit sich bringt. Diesen Wechsel erfahren sie als einen mehr oder weniger dramatischen Einbruch in ihr Leben. Dabei kann offenbleiben, ob sich dieser Wechsel unbemerkt und unter der Oberfläche schon lange angedeutet hat und erst mit einem Schlag ins Bewusstsein tritt – oder ob wirklich eine schlagartige Horizontverschiebung stattfindet. Manche Menschen brauchen starke Haltegriffe in ihrem Leben, andere stehen einfach mit beiden Beinen fest auf der Erde. Wenn es konkret um unseren Platz und um erfüllende Aufgaben im Leben geht, dann wird auch deutlich, dass es meistens nicht nur „die“ eine Berufung gibt. Wir können mehrere ausfüllen, die sich überlappen oder auf unterschiedlichen Ebenen liegen. So steht zum Beispiel Berufung zur Ehe und Elternschaft nicht im Gegensatz zur Berufung als Hauskreisleiter, Lobpreisleiterin oder Seelsorger oder einem Ehrenamt bei der freiwilligen Feuerwehr. Entscheidend ist nicht, wie stark, wie mystisch, wie emotional, wie dramatisch oder plötzlich bestimmte Gewissheiten sich einstellen im Leben. Entscheidend ist, dass sich Klarheiten ergeben, die den Herausforderungen des Lebens standhalten. In diesem Zusammenhang erschließt sich leicht, dass beispielsweise der Eindruck, unter erschwerten Bedingungen als Missionar ins Ausland zu gehen, einer erhöhten Gewissheit bedarf. Doch noch einmal: Diese Überzeugung muss sich nicht durch ein besonderes Erlebnis einstellen; sie bedarf nicht unbedingt einer datierbaren Berufung, sondern kann auch eine gewachsene, aber tiefe und ruhige Gewissheit sein. Bleibende Anfechtungen Klar ist aber auch: Für diese Gewissheiten gibt es keine Garantien. Niemand kann sich selbst oder anderen beweisen, in besonderer Weise Gottes „Stimme“ gehört zu haben. Damit wird die Realität dieser Erfahrung nicht infrage gestellt! Es muss nur deutlich gesagt werden, dass solche Gewissheiten immer mit einem Restrisiko verbunden sind und damit stets des Vertrauens bedürfen. Aus dem Glauben, dem Vertrauen kommen wir nicht heraus. Wir können eine starke Berufung über oder in unserem Leben verspüren – aber unser Leben muss diese Berufung bestätigen. Die Bewährung zeigt sich mit zeitlicher Verzögerung – vielleicht sogar mit einer Verzögerung über die Endlichkeit dieses irdischen Lebens hinaus. Damit bleibt das Thema „Berufung“ immer auch ein angefochtenes Thema in unserem Leben. Wir können jahrelang mit großer Freude und wachsendem Erfolg in unserer Berufung unterwegs sein – und dann können Ereignisse eintreten, die auf einmal alles infrage stellen. In diesen Anfechtungen können wir uns kaum an unserer Berufung festklammern, sondern werden elementar auf Gott zurückgeworfen. Doch im Durchleiden solcher Anfechtungen kann unserer Berufung eine neue und vielleicht sogar tiefere Gewissheit zuwachsen. Aber es kann auch sein, dass sich Gewissheiten verändern und Berufungen andere Schwerpunkte oder Aufgabenbereiche erhalten. weiser Umgang mit Berufungen Das bringt es mit sich, dass wir auch selbst eine Verantwortung dafür haben, wie wir mit unserer Berufung umgehen. Man kann sie verspielen, unterminieren, vergessen oder an ihr verzweifeln. Eine nicht stark genug zu betonende Dimension spielt hier die Sozialität der Berufung. Wenn wir schon geschöpflich nur Ich werden am Du des anderen (Martin Buber); wenn wir nur im Gegenüber zu anderen zu begreifen lernen, wer wir sind – warum sollte das in Fragen der Berufung anders sein? Letztlich finden wir unsere Berufung nur im Miteinander mit anderen Christen: Wie erleben sie mich? Wo sehen sie mich? Können sie meine Eindrücke oder aber auch meine Zweifel bestätigen? Wo sehen sie Gefahrenpunkte oder blinde Flecken in meiner Selbstwahrnehmung? Wo können sie mich wieder aufbauen, wo ich selbst das Vertrauen in meine Berufung verloren habe? Im Abschreiten dieses weiten und wichtigen Themas ist deutlich geworden: Es gibt weder eine feststehende Definition noch einen einheitlichen Umgang damit. Christen verbinden mit dem Thema höchst unterschiedliche Vorstellungen. Deshalb ist es gut, bei anderen nachzufragen und auch bei sich selbst immer wieder dieses Thema zu klären und zu vertiefen. Eines aber ist bei allen Fragen und nötigen Differenzierungen klar: Wichtig ist, dass wir unser Leben ergreifen und das leben, was Gott hineingelegt hat. In diesem Sinne gilt uneingeschränkt: „Lebe deine Berufung!“ Foto: istocKPhoto/FlYParaDe wir können jahrelang mit großer Freude und wachsendem erfolg in unserer Berufung unterwegs sein – und dann können ereignisse eintreten, die auf einmal alles infrage stellen.
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