23 2. Die Erwartungen junger Menschen Wir haben es heute mit einer jungen Generation zu tun, die weiß, dass sie als Arbeits- und vor allem Fachkräfte dringend gebraucht und händeringend gesucht wird. Anders als noch in meiner Generation der zwischen 1946 und 1964 geborenen „Babyboomer“ herrscht heute ein „Arbeitnehmermarkt“: Sie haben die Trümpfe in der Hand und können sich die Arbeitgeber und den Arbeitsplatz aussuchen. Entsprechend können junge Menschen ihre Erwartungen und Bedingungen formulieren, und da stehen ein paar Punkte ganz oben, die der pastorale Dienst kaum bieten kann: klare Trenung zwischen Beruf und Privatleben (Work-LifeSeparation), ausgeglichene Work-Life-Balance, familienfreundlicher Arbeitsplatz, wenig Leitungsaufgaben, geringer Stresspegel, geregelte Arbeitszeiten, freies Wochenende sowie angemessene Vergütung im Verhältnis zur Ausbildungsdauer und dem Ausbildungsniveau. 3. Die wachsende Last des Amtes Noch bis in die 1970er-Jahre hinein war das Ansehen und Renommee sowie die Wertschätzung und Autorität des geistlichen Amtes so groß, dass es den Amtsträger mitsamt seinen Schwächen und Begrenzungen getragen hat. Heute muss der Amtsträger umgekehrt mit seiner „Performance“ das Amt tragen und ihm über seine persönliche Glaubwürdigkeit Ansehen verschaffen. Die Herausforderung, eine theologisch und frömmigkeitstypisch zunehmend inhomogene Gemeinde oder Gemeinschaft angesichts einer wachsenden Polarisierung und Empörungskultur (man denke nur an die Auseinandersetzungen während der Pandemie) zu leiten und zu integrieren, ist heute immens und verlangt eine große persönliche Führungskompetenz. Auch in pietistischen Gemeinschaften oder evangelikalen Gemeinden kann einem inzwischen (fast) alles begegnen: von gemäßigt liberalen bis zu fundamentalistischen Positionen, von extrem nüchternen und radikal anti-charismatischen bis zu intensiv pfingstlerischen und eher katholischen Frömmigkeitsformen. Wer soll das noch zusammenhalten? 4. Der Burn out vieler Pfarrer/innen und Pastor/innen Vielleicht den größten Einfluss auf die sinkenden Zustimmungswerte dieses Berufsfeldes hat die steigende Zahl ausgebrannter und frustrierter Kollegen/innen, die unter überbordernden Verwaltungsaufgaben und Sitzungsterminen, zunehmenden Kirchenaustritten, abnehmendem Gottesdienstbesuch, immer weniger Ehrenamtlichen und auseinanderdriftenden Gemeindeflügeln leiden. Die Erschöpfung ist häufig zum Markenzeichen dieses Berufsbildes geworden. Kein Wunder, dass junge Menschen Angst davor haben, in diesem Beruf „verheizt“ zu werden und keinen Platz für ihre Kreativität, Ideen, Gaben und Träume zu finden. Und wie geht es weiter? Wer eine eindeutige und klare Lösung hätte, wäre ein reicher Mensch! Der Artikel steht nicht umsonst in unserer Rubrik „Ratlos“. Aber ich will versuchen, ein paar dünne Linien zu zeichnen, die uns vielleicht helfen, mit der Situation umzugehen. a | Aushalten! Wir werden diese Situation nicht rasch ändern können und müssen sie, wie so vieles in unseren Tagen, auszuhalten lernen. Vieles wird darunter leiden, manches sogar eingehen. In anderen Teilen der Welt ist dieser Mangel der normale Alltag! b | Ansprüche anpassen! Wir werden in den nächsten Jahren unsere Ansprüche an die pastorale Versorgung und Betreuung in unserem Land in allen Kirchen, Gemeinden und Gemeinschaften senken müssen. Wir werden wieder lernen, dass diese Ansprüche ohnehin nicht dem Bild entsprechen, das im Neuen Testament von einem christlichen Leben gezeichnet wird. Leben mit Jesus ist nicht pastoral betreutes Wohnen, sondern lebendige Christusnachfolge. c | Opfer bringen! Wir werden wieder lernen müssen, dass es kein geistliches Leben gibt ohne die Bereitschaft, Opfer zu bringen. Jesus erwartet von uns nicht weniger als die Hingabe unseres Lebens. Wichtig ist, dass wir nicht Menschen und Pastoren zu Opfern machen, indem wir von ihnen unmenschliche Opfer an Zeit, Geld bzw. Gehaltseinbußen oder Leistung erwarten. Ein Opfer ist immer eine freiwillige Gabe. Aber wir müssen uns selbst immer wieder klarmachen, dass wir von der Liebe und Lebenshingabe Jesu leben und die Gemeinde aller Zeiten immer davon lebte und lebt, dass Menschen von dieser Liebe so entzündet wurden und werden, dass sie selbst große Opfer brachten und bringen. Diese Opfer werden junge Menschen und ihre Familien im pastoralen Dienst bringen müssen – und die Gemeinden bei der Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen. d | Schönheit sehen! Der pastorale Dienst ist eigentlich ein schönes Amt: mit Gott von Mensch zu Mensch, vielfältig, erfüllend, beziehungsorientiert, interessant, abwechslungsreich. Ständig schöpft man aus Gottes Wort, kann eigene Schwerpunkte setzen und ist gleichzeitig mittendrin im Leben von Menschen, einer leben mit jesus ist nicht pastoral betreutes wohnen, sondern lebendige christusnachfolge. ratLos Foto: ©peter bongartZ/Fundus-medien.de Den Gottesdienst streamen – neue Wege in der Kirche mission weltweit 5–6/2023
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