MISSION weltweit – Ausgaben 2024

AUSGABE 5/6 – JULI/AUGUST 2022 MISSION www.liebenzell.org Was Abschied mit uns macht AUSGABE 1/2024 – JANUAR BIS MÄRZ Mit Sonderbeitrag von Mihamm KimRauchholz Sambia: Dem Abschied Gutes abgewinnen Japan: Hilflos in der neuen Welt Deutschland: Von Addition zu Multiplikation

2 6 ZUM THEMA 4 Frankreich: Und dann kam’s plötzlich anders Debora Fiangoa 6 Sambia: Dem Abschied Gutes abgewinnen Margit Schwemmle 8 Deutschland: Von Addition zu Multiplikation Dirk Farr 10 Japan: Im Abschied Gottes Maßarbeit erleben Lothar Sommer 11 Mittlerer Osten: Nichts ist so sicher wie Veränderung 12 Ecuador: Zwischen Heimat und Neuland Tabea Ruf 14 Spanien: Ein ungewöhnlicher Abschied Rebekka Eggeler 15 Japan: Hilflos in der neuen Welt Jael Stamm EDITORIAL 3 Plötzlich und unerwartet Dave Jarsetz SONDERBEITRAG ZUM THEMA 18 Abschied und Aufbruch Mihamm Kim-Rauchholz LIEBENZELLER MISSION AKTUELL 16 Bangladesch: Christsein in Wort und Tat 16 Ecuador: Vom Nichtblicker zum Vollchecker 16 Mittlerer Osten: Auge um Auge 17 Malawi: Unter den Besten 17 Bad Liebenzell: Ziemlich weit weg … 21 Bad Liebenzell: Mission weltweit: Jetzt viermal jährlich 22 Unterwegs in Spanien RATLOS 24 … vor der Selbstdiffamierung der abendländischen Kultur Volker Gäckle IHL/ITA KONKRET 26 Neu im Studium Aktuelles von IHL und ITA Das erwartet mich 8 PERSÖNLICHES 21 Missionare unterwegs 21 Familiennachrichten DAS EMPFEHLEN WIR 29 Tipps und Termine 31 Predigten und Vorträge, Medien, Buchtipps 32 TV-Programm 33 Deine Spende hilft Spanien: Auf zu neuen Ufern 34 Bloß nicht klammern! Interview mit Godfrey Mambwe 31 Impressum Schwerpunkte Das tun unsere Missionare weltweit: GEMEINDEN GRÜNDEN MENSCHEN DIENEN PARTNERSCHAFT LEBEN MISSION FÖRDERN Titelbild: Zuschauerin beim Sportfest der Carey Memorial School in Dinajpur, Bangladesch FOTO: ELKE WEISSSCHUH 4

MISSION weltweit 1/2024 22 AKTUELLE INFOS O im Internet: www.liebenzell.org O in der wöchentlichen Gebetsmail: www.liebenzell.org/ gebetsanliegen O in der LM-App „Meine Mission“: www.liebenzell.org/app O auf Facebook: facebook.com/liebenzellermission O auf Instagram: instagram.com/liebenzeller.mission SPENDEN Liebenzeller Mission Sparkasse Pforzheim Calw IBAN: DE27 6665 0085 0003 3002 34 BIC: PZHSDE66XXX Die Liebenzeller Mission ist als gemeinnützig anerkannt. Spenden, Schenkungen und Vermächtnisse müssen nicht versteuert werden. Montag, 8:30 Uhr. In gewohnter Weise treffen sich Mitarbeiter des Missionsbergs und Missionare aus aller Welt zum OnlineGebet. Ich bin noch völlig schockiert und sprachlos – und habe jetzt den Betern mitzuteilen, dass Beate heute nicht dabei sein wird. Mit 52 Jahren wurde unsere Kollegin Beate Haas, Sachbearbeiterin im Bereich Mission, völlig überraschend aus dem Leben gerissen. Wir wollen es nicht wahrhaben: Ihr Platz bleibt ab heute leer. Die Tränen fließen, der Abschiedsschmerz beschwert die Herzen. Solche unverständlichen Momente zeigen uns, was der Abschied mit uns macht. Gehalten und getröstet Der plötzliche Tod von Beate lässt uns trotz aller Trauer nicht ins Bodenlose fallen. Wir und ihre Familie spüren und erleben: Unser himmlischer Vater ist da! Seine Hand hält und lässt nicht los. Wir sind Gehaltene und Getröstete, weil wir wissen: Als Kinder Gottes haben wir uns nicht zum letzten Mal gesehen! Der Schmerz hat eines Tages ein Ende (Offenbarung 21,4). Die Hände, die uns heute tragen, werden uns am Ende die Tränen abwischen. Wir werden auf ewig mit Gott sein. Dort sind wir den Abschied endgültig los! Welch eine tröstliche Hoffnung bei allem Abschiedsschmerz. Festhalten und loslassen Beides gehört zum Abschied. Manfred Siebald bringt sehr treffend auf den Punkt, was mir mehrfach eine große Hilfe war: „Was wir so fest in Händen halten, das ist uns alles nur von Gott geliehn. Wir dürfen es verwalten; wir dürfen es gestalten und geben es zurück an ihn.“ Ich brauche immer wieder diese Sicht: Familie, Freunde und Kollegen, Gesundheit, Lebenskraft und Wohlstand, Zeit, Geld oder andere Ressourcen sind mir anvertraut. Ich habe keinen Besitzanspruch darauf, bin weder Eigentümer noch Festhalter, sondern Verwalter und Loslasser. Gott ist der Geber, aber auch der Nehmer. Diese Haltung bewahrt davor, krampfhaft an Dingen oder Menschen festzuhalten. Sie hilft mir auch beim Abschiednehmen: Ich lasse los, um seine Hand zu ergreifen. Wenn ich an ihr gehe, kann ich Schmerzen, Ängste, Sorgen, Bedenken und Zweifel loslassen. Weil mich seine Hand festhält, vertraue ich still. In allem und trotz allem. Herzlichst Dave Jarsetz, Missionsleiter Plötzlich und unerwartet Editorial PS: In dieser Ausgabe berichten unsere Missionarinnen und Missionare, was Abschied für sie persönlich, ihre Familien oder ihre Arbeit bedeutet und wie sie mit Gottes Hilfe damit umgehen. 3

ZUM THEMA FRANKREICH 4 Ich glaube, ich muss mein Singlesein loslassen. Ein Grund zur Freude? Ja … Und doch ist es nicht so einfach, wie ich dachte. Vorhin hat Flavien mir gesagt, dass er sich über vieles so freut. „Vor allem freue ich mich, dich zu haben. Ich wusste, dass es einen Grund dafür gibt, dass ich in Alençon und dann in dieser Gemeinde gelandet bin. Dann habe ich dich kennengelernt. […] Und jetzt gibt es kein Vielleicht mehr, sondern Gewissheit …“ Dann hat er mich gefragt, ob ich mich auch freue. Ich sagte „ja“ – aber irgendwie fehlte es mir an Überzeugung … Ich kam nicht sofort auf das, was mir schwerfällt: Bin ich müde, ist es die Arbeit, Zweifel? Und jetzt wurde mir bewusst: Mir fällt es schwer, mein Singlesein aufzugeben. Viele Jahre habe ich gelernt, es als ein gutes Geschenk von Gott zu sehen. Mal ist es mir leicht-, mal schwergefallen. Und jetzt ist er dabei, es mir zu nehmen. Also ja, da ist ein Stück Trauer in mir: Diese ganze Gewissheit, dass ich allein bleiben könnte und die ich in mir als Schutz aufgebaut habe, muss abgerissen werden. Die Freundschaft, die ich mit Debo habe und die so wertvoll ist, wird in ihrer Natur nicht mehr so exklusiv sein. Wie froh bin ich, sie an der ITA kennengelernt zu haben und während des Studiums Single gewesen zu sein! Ich werde durch meine Lebenssituation nicht mehr zeigen können, dass das Evangelium ausreichend ist für ein erfülltes Leben. Meine Abhängigkeit von Jesus, seiner Liebe, seiner Gegenwart und das Wissen, dass er meine Bedürfnisse stillt, wird für mich nicht mehr so sehr spürbar und sichtbar sein. Meine Zeit, meine Energie, meine Aufmerksamkeit und der Fokus wird zwischen meinem Dienst für den Herrn und Flavien geteilt sein. Ich konnte durch mein Leben andere Singles ermutigen. Ich war die vergangenen Monate dankbar, dass Gott meine Lebenslage genutzt hat. Wäre ich verheiratet gewesen, hätte ich nicht L. als Mitbewohnerin gehabt. Hätte nicht so viel für die Gemeinde und das Evangelium arbeiten können. Jesus, wenn ich das alles schreibe, dann weil ich dir diese Dinge, die ich verliere, bringen will, wenn du sie mir nimmst. Ich danke dir von ganzem Herzen, dass du sie mir geschenkt hast. Ich weiß, die letzten zehn Jahre war ich nicht immer dankbar für diese Gaben, und ich bitte dich um Vergebung. Danke für deine Gnade in allen Umständen. Jetzt will ich umblättern. Ich will dir vertrauen, dass auch dieses neue Geschenk, das du mir gibst, gut ist. Das weiß ich doch! Habe ich dich nicht oft gebeten, mir einen Mann zu schenken, der dich liebt? Und jetzt gewährst du ihn mir, und ich weine über das, was ich verliere. … Wie kann mein Herz nur so verdreht sein. … Ich will dir lieber danken, mein Gott, und deine Weisheit bewundern, wie du die Dinge lenkst. Lehre mich jetzt, die guten Facetten dieses neuen Geschenks Und dann kam’s plötzlich anders Kein Abschied gleicht dem anderen und selten sind sie einfach. Doch wer hätte gedacht, dass auch eine beginnende Beziehung mit Abschiedsschmerz verbunden sein könnte? Ich lasse euch durch einen meiner seltenen Tagebucheinträge an dieser Erfahrung teilhaben. Er ist vom 10. Oktober 2022. Flavien und ich hatten uns gerade für eine ernsthafte Beziehung entschieden. Lichterfest im Regen mit Flavien und meiner Mitbewohnerin L. Abschied von Freundin Debo am Bahnhof FOTOS: DEBORA FIANGOA

MISSION weltweit 1/2024 FRANKREICH 5 ZUM THEMA zu genießen und es dir zu Diensten zu stellen: Ich will einen Aspekt des Evangeliums verkörpern: den der exklusiven Liebe, die sich selbst schenkt. Ich will mit meinem Mann für das Evangelium und im Alltag zusammenarbeiten. Ich will meinen Charakter von Gott schleifen lassen, der die Ehe als ein starkes Werkzeug nutzen kann, um uns zu verändern (Anmerkung: Nicht die Ehe macht uns besser, sondern Gott, der die Ehe, aber auch vieles andere, dazu nutzt …) Ich will durch Gottes Gegenwart ermutigt sein, der mir das auch durch die Gegenwart von Flavien zeigt. Ich will andere Paare besser ermutigen können, vielleicht eines Tages auch Familien. Ich will mich in der Intimität mit Flavien freuen und ihn erfreuen, und dabei den Gott ehren, der gesagt hat, dass es nicht gut ist, dass der Mensch allein sei. Ich finde es extrem schön, dass Gott sich die Ehe so gedacht hat, dass der Mann seine Frau mit einer selbstaufopfernden Liebe liebt. Und dass die Frau sich ihm unterordnet und ihn in seiner Leiterschaft ermutigt. Das möchte ich gerne durch unsere Ehe aufzeigen. Danke, mein Gott, dass du meine Gebete gehört hast! Danke, dass du unsere Wege sich hast kreuzen lassen. Danke für deine Güte, die sich nicht ändert. Danke, weil du vertrauenswürdig bist: in allen Dingen; in allem, was du tust; in dem, was du gibst und nimmst; in deinem Timing. Singlesein und Ehe: Nichts ist leicht – das stimmt. Alles ist gut – das stimmt. Ich bitte dich, Herr, mir zu helfen, dir zu folgen und dich zu lieben, auch in dieser etwas komplexeren Situation der Ehe, die einen Menschen mehr und damit Vielfalt ins Leben bringt. Debora Fiangoa ist als Tochter der Frankreich-Missionare Norbert und Susanne Laffin in Frankreich aufgewachsen. Auf die Berufsausbildung und Tätigkeit als Ergotherapeutin folgte die theologische Ausbildung an der Interkulturellen Theologischen Akademie (ITA) in Bad Liebenzell. Debora unterstützte zwei Jahre eine Gemeindegründung in Lyon und bringt sich nun in der überregionalen Jugendarbeit im Nordwesten Frankreichs ein. Rundbriefe und mehr: www.liebenzell.org/fiangoa Inzwischen hat Gott diesen Abschiedsschmerz geheilt. Flavien und ich konnten unsere Hochzeit wunderschön feiern, standesamtlich und später noch mit einem großen Gottesdienst und vielen Menschen. Ich bin umgezogen, habe neue Aufgaben, neue Nachbarn und eine neue Gemeinde. Durch das Loslassen hat Jesus mir noch viel mehr Schönes gezeigt und geschenkt, als mir am 10.10.22 bewusst war! Debora Fiangoa Flavien ist leidenschaftlich gerne Kinderarzt

ZUM THEMA SAMBIA 6 Wenn sich etwas verändert, umfasst das drei Stufen: Der Abschied mit Loslassen und Trauer, weil etwas zu Ende geht. Eine Zwischenzeit mit Unsicherheit, offenen Fragen, aber auch dem intensiven Nachdenken, wie die Zukunft aussehen soll. Und dann der Neuanfang. In der Zwischenzeit oder neutralen Zone werden Entscheidungen getroffen, die Erwartungen auf eine gute und spannende Zukunft wecken – oder zu mehr Unsicherheit führen, weil das Neue mit zu viel Unsicherheit verbunden ist. William Bridges beschreibt diesen Prozess sehr anschaulich2. Mir hat das Beschäftigen mit dem, was in Veränderungsprozessen stattfindet, geholfen, das vergangene Jahr trotz überdurchschnittlich vieler Abschiede und Veränderungen gut in Erinnerung zu haben. Veränderungsprozesse reflektieren Im August 2023 setzte sich die Leitung der Evangelical University mit Abschied und Veränderung auseinander. Auslöser war ein langer Leitungswechselprozess von Januar 2021 bis Juni 2023. Weil es half, diesen Prozess zu reflektieren, griffen wir das Thema auch beim Mitarbeitertag im September auf. Es war interessant zu hören, dass alle inzwischen beim Neuanfang angekommen sind und niemand der alten Zeit nachtrauert. – Ich selbst hänge mit meinen Gedanken und Gefühlen noch viel mehr hinterher und denke oft zurück an das, was gewesen ist. So reagieren wir unterschiedlich auf alles, was mit Abschied zusammenhängt. „Abschied ohne Abschied“ richtig einordnen Während meiner Zeit in Malawi unterrichtete ich an einer kleinen Bibelschule. Am Ende eines Schuljahrs fiel es den meisten Studenten leicht, weiterzuziehen. Es gab kaum offensichtlichen Abschiedsschmerz. Mir dagegen kam es immer so vor, als ob alle schnell weitergehen, oft sogar, ohne sich zu verabschieden. In Sambia ist es jetzt Dem Abschied Gutes abgewinnen Zwei Gedanken streiten in mir, wenn es um das Thema Abschied geht: die Liedzeile „Abschiednehmen ist wie Sterben, jeder lässt ein Stück seines Lebens in der Hand des anderen zurück“1 und der Buchtitel von Hanna Ahrens: „Und manchmal liegt im Abschied ein Geschenk“. Sterben und Geschenk. Beides macht deutlich, was Abschied mit mir macht und wie ich Abschiede erlebe. 1 Aus „Wenn Gott will und wenn wir leben“, Manfred Siebald, 1976. 2 Aus „Managing Transitions – Making the most of change“ (Übergänge bewältigen – den Wandel optimal nutzen), 2017. Margit Schwemmle ist seit 2014 Dozentin an der „Evangelical University“ (EU) in Ndola und begleitet junge Sambier in ihrer theologischen Ausbildung als Mentorin. Im Juni 2016 hat sie zusätzlich die Studienleitung übernommen. Aktuell überbrückt sie die Vakanz in der Leitung der EU. Die frühere Finanzbeamtin hat die Bibelschule Brake absolviert und war danach mit der Liebenzeller Mission in Malawi und in der Pioniermission in Sambia im Einsatz. Rundbriefe erwünscht? www.liebenzell.org/ schwemmle FOTO: ELKE WEISSSCHUH

MISSION weltweit 1/2024 SAMBIA 7 ZUM THEMA bei den Absolvierungsfeiern an der Universität nicht anders. Die meisten haben vier Jahre lang bei uns studiert, es sind Beziehungen gewachsen, und wir haben viele Stunden gemeinsam verbracht. Während ich oft mit den Tränen kämpfe, überwiegt bei den Absolventen die Freude, und manche gehen ohne Abschied. Inzwischen versuche ich, mir dieses Verhalten so zu erklären: Während für sie etwas Neues beginnt, bleibt bei mir alles beim Alten. Mein Alltag verändert sich nicht wirklich; das Leben geht mit anderen Menschen weiter, mit denen ich erst wieder eine Beziehung aufbauen muss. Diejenigen, die gehen, sind voll Erwartung auf das, was kommen wird, während ich einen Alltag ohne die gewohnten Personen und Beziehungen leben werde. Lücken akzeptieren und neu füllen Sehr intensiv habe ich das beim Abschied von vertrauten Missionarskollegen erlebt, die zu Freunden geworden waren. Als wir uns am Flughafen verabschiedet hatten und sie Richtung Flugzeug und damit in „das Neue“ verschwunden waren, saß ich erst einmal für eine Stunde in einem kleinen Café und versuchte, die Tränen unter Kontrolle zu bringen. Seither muss ich immer wieder die entstandene Lücke akzeptieren und lernen, sie neu zu füllen. Das passiert in der oben beschriebenen neutralen Zone zwischen Abschied und Neuanfang. Diese Zwischenzeit kann kurz ausfallen, und ein anderes Mal dauert es viel länger, bis ich mich auf Neues einlassen kann. Mir fällt es nach 25 Jahren im Ausland mit vielen Abschieden von vertrauten Personen zunehmend schwerer, mich auf „das Neue“ einzulasMargit Schwemmle fährt hin und wieder zu Praktikanten und Absolventen der Evangelical University. Hier ist sie bei Ivine, die 2019 ihr Studium abgeschlossen hat und in Mushili arbeitet Unten links: Frühere Studenten der EU überraschen Margit mit einem Besuch sen, vor allem auf unbekannte Menschen oder neue Kollegen. Ich möchte mich nicht immer wieder erklären müssen und brauche Beziehungen zu Menschen, die wissen, wo ich herkomme, die meine Vergangenheit verstehen. Aber die finde ich im Ausland nur sehr selten. Platz für neue Erfahrungen schaffen Gott sei Dank erlebe ich, was Erich Fromm so ausgedrückt hat: „Abschiede sind notwendig, um Platz für das Leben zu schaffen.“ Ohne Ab- schiede von Menschen wäre kein Platz für neue Erfahrungen mit anderen. Deshalb will ich in den Abschieden das Geschenk sehen, das Platz für neues Leben schafft: Ohne den Abschied von Studierenden, die mir ans Herz gewachsen sind, würde es für sie keinen Neuanfang geben an einem Platz, an dem Gott sie gebrauchen will. Deshalb will ich sie ziehen lassen und wieder Raum haben für neue Beziehungen. Leicht ist das nicht, aber ich treffe die bewusste Entscheidung, weiterzugehen. Und ich lerne von meinen afrikanischen Freunden und Kollegen, dass man im Heute lebt. Die Vergangenheit ist wichtig, aber nicht entscheidend. Was die Zukunft bringt, weiß keiner. Warum sich also zu viele Gedanken darüber machen? Das Leben nach einem Abschied, welcher Art auch immer, will und muss weitergelebt und mit seinen Herausforderungen bewältigt werden. Dietrich Bonhoeffer hat einmal gesagt: „Abschiede lehren uns, die Vergänglichkeit des Lebens zu akzeptieren und den Wert des Augenblicks zu schätzen.“ Ja, wir müssen und sollen den Wert des Augenblicks schätzen. Dann können auch Abschiede zu etwas Gutem werden. Margit Schwemmle FOTOS: MARGIT SCHWEMMLE

ZUM THEMA DEUTSCHLAND 8 Von Addition zu Multiplikation „Papa, ich will nicht ‚Mal-rechnen‘. Das ist viel schwieriger als plus und minus!“ Viele Grundschuleltern haben diesen Satz schon gehört. Addition und Subtraktion lernen die „Kleinen“ fast von allein. Gleich in der ersten Klasse. Doch im dritten Schuljahr kommt die große Herausforderung: Multiplikation. Eltern wissen, dass ihr Kind nicht daran vorbeikommt, wenn es in Klasse 3 erfolgreich sein will. Ich frage mich manchmal, ob wir als Gemeinden nicht auch gut daran täten, die „Klasse 3“ abzuschließen, indem wir uns intensiver mit Multiplikation beschäftigen. Warum es für Gemeinden ohne Multiplikation nicht geht In Berlin gibt es etwa 800 christliche Gemeinden für 3,8 Millionen Einwohner. Ein erfahrener Gemeindeleiter sagte mir: „Um zehn Prozent der Berliner zu erreichen, müssen noch rund 3000 weitere Gemeinden entstehen.“ Dreitausend Gemeinden? Wer soll die gründen? Und das ist erst Berlin. Was ist mit den anderen entkirchlichten Regionen in Deutschland und Europa? Wer entsendet dorthin befähigte Mitarbeitende oder Gründungsteams? Deshalb müssen wir von Addition zur Multiplikation wechseln, denn: Hinzufügen von einzelnen Christen ist gut. Aber nicht genug. Hinzufügen von einzelnen Kleingruppen und Hauskreisen ist gut. Aber nicht genug. Hinzufügen von einzelnen Gemeinden ist gut. Aber nicht genug. Abschiedsparty: Die ganze JKB feiert die Aussendung von Mitarbeiterinnen in neue Gründungsprojekte Aussendung auch in die weltweite Arbeit: Max und Bille Seifert hat es nach Japan gezogen

MISSION weltweit 1/2024 DEUTSCHLAND 9 ZUM THEMA Wie können wir diesen Wechsel hinbekommen? Wichtiges zählt. Vielleicht beginnt es mit dem, was wir zählen oder erzählen – mehr oder weniger bescheiden. Manche erzählen gern von ihren Kindern, später dann von den Enkeln. Andere zählen Kilowattstunden von Solarzellen auf dem Dach. Oder die Anzahl der Freunde in den sozialen Medien. Was wir zählen, zeigt, was uns wichtig ist. Was zählen wir in unseren Gemeinden? Vom Sammeln zum Senden Wie wäre es, wenn wir in unseren Gemeinden mit einem Blick für das Reich Gottes die Zählweise ändern würden? Dirk und Angelika Farr leben seit 2006 in Berlin. Dirk leitet den Bereich Gemeindegründung bei der Liebenzeller Mission und ist leitender Pastor der „Jungen Kirche Berlin“ in Treptow, die er mit einem Team gegründet hat. Außerdem ist er im Vorstand von M4-Germany, das eine zweijährige Prozessbegleitung für Gemeindegründungsteams anbietet. Angelika ist Sozialpädagogin. Sie haben drei Kinder. Rundbriefe und mehr: www.liebenzell.org/farr Die JKB Treptow wurde von Liebenzeller Missionaren gegründet mit dem Ziel, gemeindegründende Gemeinde zu werden. In den ersten zwölf Jahren gingen von ihr weitere fünf Gründungen aus. Mehr als ein Dutzend junger Leiterinnen und Leiter, die hier befähigt und geprägt wurden, zogen weiter, um ihrem Ruf zu folgen und Gottes Auftrag außerhalb der JKB zu leben. Interessiert an Gemeindegründung? Die Gründungsarbeiten in Ostdeutschland wären kaum denkbar ohne Männer und Frauen, die ihre Heimat verlassen und ins Gründungsgebiet ziehen. Viele von ihnen arbeiten in ihren erlernten Berufen weiter und engagieren sich ehrenamtlich in den Gründungsarbeiten. Mehr Infos: samuel.meier@liebenzell.org Dabei ist schmerzlich wahr: Jede Gemeinde sucht Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und dann übers „Aussenden“ nachdenken? Ja! Denn es gibt keine Multiplikation ohne Sterben. Schon Jesus sagte: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt …“ (Johannes 12,24). Ist das angenehm, leicht oder „sicher“? Ich finde nicht und kämpfe jedes Mal mit mir, wenn begabte und engagierte Menschen unsere Gemeinde verlassen, um an anderer Stelle ihre Berufung zu leben. Aber der Abschied von ihnen und ihre Aussendung ist der Weg, auf dem die Verheißung Gottes für seine Gemeinde als weltweiter Organismus liegt: Menschen trainieren, anleiten und befähigen, damit sie weitergehen können. Das Vorbild meiner Heimatgemeinde Von meiner Liebenzeller Heimatgemeinde habe ich das vorgelebt bekommen: In den „Nullerjahren“ gab es eine wahre Welle von jungen Menschen, die sich in den hauptamtlichen Dienst rufen ließen. Das war ein ordentlicher Aderlass für die Gemeinde. Ein Fehler? Das dachten damals manche. Doch heute, 20 Jahre später, steht die Gemeinde (nicht nur deswegen) blühend da. Geben ist seliger als nehmen. Und Gott steht zu seinen Verheißungen! Mein Gebet ist mit Matthäus 9,38: „Die Ernte ist groß, aber es sind wenig Arbeiter. Herr, berufe Männer und Frauen, die sich senden lassen!“ Betest du mit? Lässt du dich berufen? In einer Welt, in der Gemeinden wie kleine Samen in die Erde gepflanzt werden, sollten wir uns nicht nur auf das Sammeln, sondern auch auf das Senden konzentrieren. Es ist an der Zeit, die „Klasse 3“ abzuschließen und uns intensiver mit Multiplikation zu beschäftigen. Sie ist der Weg zur Ernte, und ohne sie können Gemeinden weder wachsen noch sich entwickeln. Dirk Farr ErmutigungsAnregung für alle Zeichne euren Gemeinde-Stammbaum. Du kannst einen der drei Bereiche auswählen: Gemeinden, die durch euch gegründet wurden (benenne das, was du über sie weißt) Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die ihr befähigt und ausgesandt habt (notiere ihre Namen und versuche zu zählen, wie viele Generationen sie wiederum befähigt haben) Jüngerinnen und Jünger, die ihr geschult habt, wieder andere zu befähigen (auch hier: Schreibe ihre Namen auf und ergänze die, die durch sie befähigt wurden). Von „Wie viele hören das Evangelium?“ zu „Wie viele befähigen wir, es zu teilen?“ Von „Wie viele besuchen unsere Gottesdienste?“ zu „Wie viele können wir aussenden, um Neues zu starten?“ Von „Wie viele Leiter haben wir?“ zu „Wie viele Leiter haben wir ausgesandt?“ Von „Wie groß ist unsere Gemeinde?“ zu „Wie viele Gemeinden haben wir gegründet?“ Gutes Schuhwerk für neue Wege: Jana Kontermann wird in die Gemeindegründung in einem weiteren Berliner Stadtteil verabschiedet FOTOS: DIRK FARR

ZUM THEMA JAPAN 10 FOTOS: LOTHAR SOMMER Gemeint ist nicht die Waage in unserem Badezimmer, sondern die Gepäckwaage am Flughafenschalter. Bei jeder Aus- oder Heimreise in den vergangenen 15 Jahren waren wir gespannt (oder vielmehr angespannt), ob sich das Gewicht der Koffer im zulässigen Rahmen bewegt. Oder müssen wir unter den Blicken der anderen Reisenden noch hektisch umpacken? Nicht selten zeigte die Waage eine wahre Punktlandung an, was bei uns zu einer spürbaren Erholung der Vitalwerte führte. Größtenteils verdankten wir das unserer alten, manuellen Kofferwaage, die uns über all die Jahre nie im Stich ließ und bis heute präzise das richtige Gewicht anzeigt. Darauf konnten wir uns als Familie auch im Sommer 2023 verlassen, als wir in Japan zum vorerst letzten Mal die Koffer packten und nach Deutschland zurückkehrten. Diese Entscheidung zu treffen, fiel uns alles andere als leicht. Genauso wenig der Abschied von dem Land, das uns zur Heimat geworden war, und von den Menschen, die uns sehr ans Herz gewachsen sind. In das gefühlsmäßige Durcheinander aus Freude über das, was war und Trauer über das, was nicht mehr sein wird, mischen sich immer wieder Fragen und Zweifel. Etwa die Überlegung, welches „Gewicht“ unser Einsatz in Japan wirklich hatte und was davon bleiben wird. Die Antwort darauf dürfen wir glücklicherweise Gott überlassen. Wahrnehmen, welche Gelegenheiten Jesus schenkt Es war sehr ermutigend für uns zu erleben, dass unser Abschied von Japan nicht bedeuten muss, dass unsere Arbeit mit Japanern zu Ende ist. Konkret haben wir das nach unserer Rückkehr in Deutschland im Restaurant eines bekannten Möbelhauses erfahren. Wir wurden auf einen jungen Mann mit japanischem Aussehen aufmerksam, der allein an einem Tisch saß. Nachdem wir ihn angesprochen hatten, stellte sich heraus, dass er wirklich von dort kam und nur für kurze Zeit in Deutschland war. Seine Arbeitsstelle in Japan liegt ganz in der Nähe unserer alten Wohnung. Für ihn war es eine große Freude, sich mit uns in seiner Landessprache über seine Heimat zu unterhalten. Mittlerweile ist er wieder in Japan, aber wir stehen im Kontakt mit ihm und sind gespannt, was Gott in seinem Leben noch tun wird. Für uns war diese Begegnung ein Trostpflaster im richtigen Moment und ein Zeichen dafür, dass Gott auch in unseren Abschieden handelt, uns nicht hängen lässt und seine Leute überall gebrauchen kann. Lothar Sommer Lothar und Tabea Sommer lebten von 2008 bis 2023 in Japan. Sie waren in der Jugend- und Gemeindearbeit in Yokohama-Hongodai und Kamoi im Einsatz und leiteten zuletzt auch das Programm „impact-move“ in Japan. Nun sind sie aus familiären Gründen zurück in Deutschland, und Lothar ist Gemeindepastor im Bezirk Albstadt-Ebingen des Süddeutschen Gemeinschaftsverbands. Im Abschied Gottes Maßarbeit erleben Der Blick auf die Waage sorgte bei uns regelmäßig für Schweißausbrüche und einen Puls im dreistelligen Bereich. Passt es oder ist abspecken angesagt? Links: Tabea verabschiedet sich von einer guten Freundin Unten: Auf der Rückreise nach Deutschland

11 MISSION weltweit 1/2024 MITTLERER OSTEN ZUM THEMA „Wenn du wüsstest …“, dachte ich mir. „Jetzt ist Joseph für dich einer der wichtigsten Menschen, aber in ein paar Jahren wirst du wahrscheinlich nicht mehr wissen, wer Joseph ist …“ Ich selbst habe noch Freunde aus der Kinderzeit, aber von den meisten musste ich mich im Laufe der Zeit verabschieden. Abschiede gehören zum Leben. Das musste unsere Tochter bisher nicht im gleichen Maße lernen wie wir Eltern. Nachdem wir jetzt seit sechs Jahren in der arabischen Welt leben, wissen wir, dass sich immer etwas ändert. In unseren ersten vier Ehejahren wohnten wir an vier unterschiedlichen Orten. Und obwohl wir seit vier Jahren „sesshaft“ sind, gehören Veränderungen immer noch zum Alltag. Mal verlassen Freunde unser Einsatzland, mal kommen neue Leute hinzu, mal werden Familien gebeten, das Land zu verlassen. Man weiß nie, was als Nächstes kommt. Vor einigen Wochen sagte jemand: „Gestalte deinen Alltag so, als ob du weitere 20 Jahre am gleichen Ort bleiben würdest. Zur gleichen Zeit lebe jeden Tag so, als wäre es dein letzter.“ Das zu hören, tat mir gut. An manchen Tagen fühlt man sich einsam und weiß vor lauter Veränderungen und Abschiednehmen gar nicht, auf wen man zählen kann. Gerade dann mache ich mir Mut, trotzdem in Beziehungen zu investieren, mein Leben hier vor Ort zu leben und nicht an den nächsten Abschied zu denken. Drei Dinge durfte ich in den vergangenen Jahren lernen: Jede tiefere Beziehung, die ich mit einem Menschen eingegangen bin, war es wert. Egal, ob wir immer noch in regem Kontakt sind oder nur alle paar Monate voneinander hören: Jede einzelne Person hat mich inspiriert und ein Stück Zugehörigkeit und Heimat vermittelt. Die Beziehung war schön für den Moment. „Erwarte nichts!“ Viel zu oft erhoffte ich mir zu viel von Beziehungen und Freundschaften und wurde enttäuscht, als ich mich dann von lieben Menschen verabschieden musste. Immer mehr wird mir im Ausland unsere kleine Familie zum Fundament. Ich weiß, dass ich auf sie stets zählen kann. „Erwarte alles von Gott!“ Er vergisst mich nicht, wenn Freunde weiterziehen. Er verspricht, mir immer das zu geben, was ich brauche. Daran möchte ich festhalten. Ich weiß, dass er eine Wohnung für mich im Himmel vorbereitet hat (Johannes 14,2) und ich nur bei ihm die wirkliche Heimat ohne Abschiedsschmerz finde (Hebräer 11,16). Die Autorin lebt und arbeitet mit ihrer Familie in der arabischen Welt Nichts ist so sicher wie Veränderung „Wenn ich größer bin, dann heirate ich meinen Freund, den Joseph“, verkündete unsere vierjährige Tochter vor einiger Zeit. Ich schmunzelte. Kinder leben tatsächlich immer im Hier und Jetzt. SYMBOLBILD: ISTOCKPHOTO/FG TRADE

ZUM THEMA ECUADOR 12 Zwischen Heimat und Neuland Spannend war, wie unterschiedlich jeder aus unserer Familie damit umging und die Schwere der Abschiede empfand. Während Sebastian meistens erst im Nachhinein etwas vermisst, trauere ich schon im Voraus. Obwohl unsere Kinder noch klein sind, durchlebten auch sie den Prozess des Abschiednehmens individuell und drückten sich altersentsprechend aus. Wir kamen im vergangenen Sommer nach einem Jahr „Heimataufenthalt“ zurück in unsere ecuadorianische „Heimat“. Ein intensives Jahr lag hinter uns, das umrahmt war von Abschiedsschmerz und Wiedersehensfreude: Abschied von Ecuador, Wiedersehen in Deutschland. Und umgekehrt: Abschied aus Deutschland, Wiedersehen in Ecuador. Am Flughafen in Quito: Abschied von Ecuador Der erste Schneemann ist gebaut!

MISSION weltweit 1/2024 ECUADOR 13 ZUM THEMA Ein Abschied läutet einen Wechsel ein Die Veränderung führte von einer Welt in eine andere. Während für uns Eltern Deutschland mit vielen Erinnerungen verbunden ist, war es für unsere Kinder Neuland im wahrsten Sinne des Wortes. Aus ihrer Sicht verließen sie ihre Heimat Ecuador und zogen in ein Land, in dem sie nie zuvor gelebt hatten. Es brauchte Zeit und Geduld, diese Veränderungen zu verkraften. Jemand meinte, dass es im Durchschnitt drei Monate dauert, bis (Missionars-)Kinder nach einem Wechsel „angekommen“ sind. In dieser Zeit bestand für mich die Herausforderung darin, nicht nur meine eigenen Emotionen wahrzunehmen und mit ihnen umzugehen, sondern als Mutter auch die Empfindungen der Kinder zu begleiten. Wir befanden uns in einer Art Ausnahmezustand – geprägt von unerwarteten emotionalen Reaktionen unserer Kinder, unterbrochenem Schlaf, Entdeckerfreude, Kennenlernen der neuen Umgebung. Während unsere eine Tochter ihren Gefühlen in verschiedenen Extremen freien Lauf ließ, klammerte sich die andere an mich und wich kaum von meiner Seite. Unsere Kinder sind in einem Alter, in dem sie noch nicht zwei Emotionen gleichzeitig fühlen oder miteinander vereinbaren können. Sie empfinden entweder den Schmerz und das Vermissen – oder die Aufregung und Freude am Entdecken. Diese Einsicht half mir sehr, Reaktionen einzuordnen und als Momentaufnahme und nicht als absolut zu sehen. Zum Abschied gehören „Danke“ und „Entschuldigung“ Abschiede sind immer emotional – sie sind schmerzhaft und haben dennoch eine schöne Seite. Je schwerer uns der Abschied von Land und Leuten fällt, desto größer ist unsere Verbundenheit mit ihnen. Abschiedszeiten sind besondere Zeiten, in denen (letzte) Worte mehr Gewicht bekommen und hängen bleiben. Ermutigung, Dank und Wertschätzung ausdrücken gehören dazu und machen diese Zeit zu einer wertvollen Erfahrung. Vor unserer Ausreise aus Ecuador überraschte uns ein Brief, in dem uns eine junge Frau aus dem Jugendkreis für die geistliche Prägung dankte, die wir ihr gegeben hatten. Ohne diese hätte sie wohl nicht an ihrer Beziehung zu Jesus festgehalten. Auch wir konnten in Ecuador und in Deutschland in der Abschiedsphase Gespräche führen und unseren Dank und unsere Wertschätzung ausdrücken, die in Erinnerung bleiben. Der Abschied ist auch eine sehr gute Möglichkeit, Zwischenmenschliches zu bereinigen. Zu einem gelungenen Abschluss eines Lebensabschnitts gehören geklärte Beziehungen („so viel an uns/euch liegt“, Römer 12,18). Dann reist man mit deutlich leichterem Gepäck. Ein „Entschuldigung“ mag den meisten von uns schwerer über die Lippen gehen als ein „Dankeschön“, hat aber ein großes Potenzial für einen von Altlasten befreiten Abschluss. Ein Abschied birgt Chancen Abschied ermöglicht einen Neuanfang: Man kann neue Routinen entwickeln und seine bisherigen Vorgehensweisen, Rollen, Erwartungen und Ziele überdenken und anpassen. Er bietet die Chance, herauszutreten aus bisherigen Umständen: Man kann mit Abstand seine Erfahrungen reflektieren und bewerten. Der Abstand von unseren Aufgaben und Rollen in Ecuador während des Deutschlandaufenthaltes tat gut. Wir konnten loslassen und aus der Ferne Weichen neu stellen und überlegen, wie wir im zweiten Term vorgehen und worauf wir achten möchten. So haben wir uns zum Beispiel vorgenommen, unsere Zeit bewusst nicht mit Jugendkreisen, Kids Clubs und festen Terminen zu füllen, sondern zeitliche und emotionale Kapazität zu haben, um in die persönliche Begleitung von Frauen, Jugendlichen und Paaren zu investieren. Auch wenn ich Abschiede als schmerzhaft und schwer empfinde, will ich mich nicht auf die Trauer konzentrieren. Ich möchte die Chance des Neuanfangs sehen und die Gelegenheit nutzen, mit einem „Danke“ und wo nötig einem „Entschuldige“ Beziehungen zu bereinigen, die dann trotz der Entfernung gut weitergeführt werden können. Tabea Ruf Sebastian und Tabea Ruf leiteten von 2018 bis 2022 die impact-Teams in Ecuador und bauen nun das Projekt „Casa Ágape“ in Ibarra auf. Dort werden Hilfsangebote für Frauen geschaffen, die unter häuslicher Gewalt leiden. Sebastian ist außerdem Pastor in der Gemeinde in Mira. Er hat nach der Ausbildung zum Forstwirt an der Interkulturellen Theologischen Akademie (ITA) studiert, Tabea „Theologie und Soziale Arbeit“ an der Internationalen Hochschule Liebenzell (IHL). Die beiden haben drei Kinder. Rundbriefe und mehr: www.liebenzell.org/ruf FOTOS: TABEA UND SEBASTIAN RUF Zurück in Ecuador: Wir genießen wieder die frischen Fruchtsäfte und Empanadas

ZUM THEMA 14 SPANIEN Üblich ist, dass man zu einer Beerdigung geht und seine Beileidsbekundung persönlich und nicht schriftlich ausdrückt. Durch seine Präsenz zeigt man, dass man Anteil nimmt und die Hinterbliebenen des Verstorbenen begleitet. Am Feiertag Allerheiligen gedenkt man bewusst der Toten und betet für ihre Seelen. Man hofft, dadurch die Angehörigen aus dem Fegefeuer retten zu können. Doch viele Katholiken sind unsicher, ob dies tatsächlich möglich ist. Sie ehren die Toten, säubern die Gräber und schmücken sie mit Blumen. Es soll nur um Jesus gehen Einen Tag nach meiner Rückkehr aus dem Urlaub verstarb Antonio (Name geändert) aus unserer Gemeinde nach kurzer Krebserkrankung. Als Gemeinde trauerten wir, aber etwas war bei der Beerdigung ungewohnt. Denn als sich Antonio mit seinem nahen Tod auseinandersetzte und gefragt wurde, was denn bei der Trauerrede über ihn gesagt werden solle, hatte er gemeint: „Nichts. Rede nur über Jesus!“ Und so wurde die Trauerfeier zu einem gewaltigen Zeugnis für die Hinterbliebenen – für seine Familie, die Freunde, Arbeitskollegen und unsere Gemeinde. Und noch etwas war anders: Die Witwe strahlte trotz des bitteren Verlustes einen bemerkenswerten Frieden und eine große Hoffnung aus. Diese haben Menschen, die Jesus kennen. Eine solche Beerdigung ist selten in Spanien. Nur etwa ein Prozent der Bevölkerung lebt mit dem Wissen um, dem festen Glauben an und der sicheren Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod. Danke, wenn ihr für die Menschen in Spanien betet: dass sie diese Hoffnung in Jesus finden, bevor es zu spät ist. Und für die Gläubigen in Spanien: dass sie mutig darin sind, Jesus zu bezeugen – wie die Witwe und ihr zu Jesus heimgegangener Mann. Rebekka Eggeler Rebekka Eggeler lebt seit Januar 2022 in Spanien, studierte in Sevilla und Valencia Spanisch und arbeitet nun in der Gemeinde Méndez Nuñez in Valencia mit. Leidenschaftlich gerne erzählt sie jungen Menschen von der bedingungslosen Liebe Jesu. Rebekka ist gelernte Raumausstatterin. Nach dem Studium an der Interkulturellen Theologischen Akademie in Bad Liebenzell war sie Jugendreferentin im Süddeutschen Gemeinschaftsverband in Untermünkheim. Rundbriefe und mehr: www.liebenzell.org/eggeler Das Fegefeuer ist nach katholischer Lehre ein Ort der Läuterung, an dem die Verstorbenen gleich nach dem Tod vor Gericht stehen. Ein ungewöhnlicher Abschied Auch wenn Spanien ein Land mit einer hohen durchschnittlichen Lebenserwartung ist,1 gehört auch hier der Abschied von Verstorbenen zum Leben. Die Beisetzung erfolgt schnell, schon am nächsten oder übernächsten Tag nach dem letzten Atemzug. Beim etwas anderen Trauergottesdienst in unserer Gemeinde FOTO: REBEKKA EGGELER 1 Sie ist in Spanien höher als in Deutschland und betrug 2021 für Männer 80,4 Jahre (Deutschland: 78,4) und für Frauen 86,2 Jahre (Deutschland: 83,3). Quelle: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/954/umfrage/ lebenserwartung-bei-geburt-in-ausgewaehlten-laendern-der-europaeischen-region/

MISSION weltweit 1/2024 JAPAN 15 ZUM THEMA FOTO: HERRMANN STAMM Wo ich bin? In einem Supermarkt. In einem normalen Supermarkt in Deutschland. Vielleicht schmunzelst du. Aber ich stehe das erste Mal allein in einem deutschen Discounter. Nachdem ich das Produkt nicht gefunden habe, das ich einkaufen wollte, möchte ich einfach wieder gehen. Aber wie stelle ich das an? Sowohl der Eingang als auch der Ausgang sind mit Schranken verschlossen … Inzwischen kann ich darüber lachen, weil ich mittlerweile weiß, dass ich einfach an der Kasse hätte vorbeigehen können. Aber damals hatte ich nicht den Mut, jemanden um Hilfe zu bitten. Denn von außen betrachtet sehe ich aus wie eine blonde „ganz normale“ Deutsche. Nur dass ich mich im Herzen überhaupt nicht so fühle. Dass die Welt in Deutschland anders sein würde, das wusste ich. Trotzdem hatte mich dieses Gefühl der Hilflosigkeit wieder eiskalt erwischt. 20 Jahre lang war Japan mein Zuhause gewesen. Dort wusste ich, wie das Leben läuft. Doch über Nacht wurde Japan zum Gastland, und Deutschland sollte mein neues Zuhause werden. Daran gewöhne ich mich nicht Das zu akzeptieren, fiel mir anfangs nicht leicht, obwohl ich im Leben schon öfter umgezogen bin, als ich an beiden Händen abzählen kann. Auch während meiner Schulzeit musste ich mich jede Woche von meinen Eltern verabschieden und wieder ins Internat zurückkehren. Ich glaube mittlerweile, dass man sich an Abschiede nicht gewöhnen kann, egal wie viele große und kleine man schon hinter sich hat. Es tut immer weh, sein Zuhause, seine Familie und Freunde zurückzulassen. Es braucht Zeit für die Trauer und Zeit zum Ankommen. Und es erfordert viel Mut, diese bei anderen einzufordern und sich auch selbst zuzugestehen. Mir hat es geholfen, mein Zimmer zu einem Wohlfühlort zu machen. Nach vorn zu sehen und das neue Leben neugierig kennenzulernen. Nicht alles zu vergleichen, sondern das Schöne in jedem Land bewusst wahrzunehmen. Inzwischen ist es für mich ein Schatz, so viele Orte mein Zuhause nennen zu dürfen. Dankbar bin ich, eine herzliche (Schwieger-)Familie, Ehemann und Freunde zu haben, die mich auf diesem Weg begleiten. Aber am allermeisten bin ich Jesus dankbar, der sich nie verändert hat. Bei ihm darf und will ich immer bleiben. Kleiner Nachtrag: Ich habe damals einfach eine Packung Brötchen gekauft und bin so dem Supermarkt „entkommen“. Jael Stamm Herrmann und Jael Stamm haben an der Internationalen Hochschule Liebenzell studiert und erste Berufserfahrungen als Jugendpastor beziehungsweise Sozialarbeiterin gesammelt. Seit Mai 2022 verstärken sie das Missionarsteam in Japan. Sie haben zwei Kinder. Neben dem Sprachstudium unternimmt Herrmann erste Schritte, um Menschen in Japan über Medien auf Jesus Christus hinzuweisen. Rundbriefe und mehr: www.liebenzell.org/ stamm-herrmann-jael So langsam bin ich wirklich verzweifelt. Wie komme ich bloß aus dieser Situation heraus? Ich kämpfe gegen die Tränen und suche krampfhaft nach einer guten Lösung. Hilflos in der neuen Welt Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar. PSALM 23,6

16 LIEBENZELLER MISSION AKTUELL BANGLADESCH. Rahel ist ein einfaches Gemeindemitglied, Mutter von drei erwachsenen Kindern und schon fast im Rentenalter. Sie hatte gebetet, dass Gott den Bedürftigen in ihrer Umgebung helfen möge – bis sie letztlich selbst mit Gottes Hilfe tätig wurde. Sie gründete eine Art Mutter-Kind-Gruppe, die sich bis zu fünfmal in der Woche trifft. Zielgruppe sind Mütter, deren Kinder unterernährt sind. Rahel kocht Gemüse und Reis, um sie zu versorgen, knüpft Beziehungen und gibt mindestens einmal in der Woche bei den Treffen einen geistlichen Impuls weiter. Ich habe bisher nichts Vergleichbares hier in Khulna kennengelernt. Rahel erfährt bisher von ihrer Gemeinde nicht sonderlich viel Unterstützung, versucht diese Arbeit aber mit der Hilfe von Bekannten selbst zu finanzieren und Mitstreiterinnen zu gewinnen. Um Menschen in Wort und Tat mit dem Evangelium zu dienen, legt sie eine enorme Leidenschaft und Professionalität an den Tag, dass man direkt angesteckt wird. Gott bewegt Rahel und andere Christinnen, damit Menschen seine Liebe erfahren! Micha Ulmer MITTLERER OSTEN. Das Thema Rache bringt viele Herausforderungen mit sich. Ein Junge hatte an unserer Schule eine Schlägerei begonnen. Er besteht allen Ernstes obendrein auf sein Recht auf Rache. Mit dieser Einstellung wachsen hier immer noch sehr viele Jugendliche auf. In ihren Familien gilt: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Es ist sehr schwierig, diese tief eingravierten Überzeugungen zu verändern. Gedanken und Taten der Rache beherrschen hier im Land den Alltag. Betet mit, dass der Allmächtige die Menschen zur Umkehr ruft und dass sie ihn kennenlernen! Eine Mitarbeiterin in der arabischen Welt ECUADOR. Im April 2023 war ich (Rainer) zum ersten Mal bei Eloy und seiner Familie, um ihnen anhand von Johannes 3,16 Gottes Wort zu erklären. Nach einigen Wochen „beichteten“ sie: „Wir haben davon überhaupt nichts verstanden!“ Das war für mich eine ernüchternde, kalte Dusche. Wie kann man so etwas Einfaches nicht verstehen? Dass es einen Gott gibt, der uns liebt und der seinen Sohn Jesus in die Welt sendet, um uns zu retten. Dass wir nicht verloren gehen, wenn wir ihm vertrauen. Nichts verstanden? Wie kann das angehen? Lag es an meinem Spanisch? Oder wollten sie nicht verstehen? Doch dann erklärte Eloy: „Wir waren selbst entsetzt über uns, dass wir nichts verstanden haben. Also haben wir in der folgenden Woche gebetet: ‚Gott, hilf uns, dein Wort zu verstehen!‘“ Dann fügte er fröhlich hinzu: „Und das Wunder geschah: Wir haben beim nächsten Mal alles verstanden.“ Wie wichtig ist doch die innere Bereitschaft. Wo Menschen nicht wollen, rennt man gegen verschlossene Türen und Betonwände. Doch wer bittet, dem wird gegeben. Und wer bittet, Gottes Wort zu verstehen, dem wird es auch so geschenkt. Jede Woche studieren wir mit Eloy und seinen Angehörigen die Bibel. Immer empfangen sie uns mit großer Freude und dem Verlangen, mehr zu hören und zu verstehen. Und jedes Mal erzählt Eloy, wie sehr sich sein Leben verändert, seitdem er die Bibel und Jesus kennengelernt hat. Fast jedes Wochenende habe er sich betrunken. Sein Leben hätte vorwiegend aus Arbeit bestanden, weil er immer mehr haben wollte. Furcht kenne er nicht. In der ganzen Gegend gelte er als tapferer Stierkämpfer und Reiter. Die Veränderungen im Leben von Eloy und seiner Familie fallen anderen im Ort auf. Für uns ist es eine große Freude, das alles begleiten zu können und die Freude und das Strahlen in ihren Gesichtern zu sehen. Ein großer Teil unserer Arbeit besteht weiterhin darin, Menschen Gottes Wort zu erklären und es ihnen nahezubringen. Rainer und Katharina Kröger Christsein in Wort und Tat Auge um Auge Vom Nichtblicker zum Vollchecker Rahel unterstützt bedürftige Mütter und Kinder Durch Jesus verändert: Eloy und seine Familie FOTO: RAINER KRÖGER FOTO: MICHA ULMER / MARC BAECHTOLD

17 MISSION weltweit 1/2024 LIEBENZELLER MISSION AKTUELL MALAWI. Wir sind Gott sehr dankbar für gute Entwicklungen im Dorfentwicklungsprojekt Ubwenzi. Bei den Abschlussprüfungen nach der 8. Klasse waren unsere 19 Abgänger unter den landesweit zehn besten Schulen. Die Prägung vom Kindergarten an bringt nicht nur schulisch Früchte, wir erreichen über Jahre hinweg viele Mädchen und Jungen mit dem Evangelium. Mit 60 Kindern ist der Kindergarten seit Herbst voll belegt. Seit Mitte November bis März gibt es während der Monate, in denen die Menschen wenig zu essen haben, wieder ein Schulspeisungsprogramm bei uns. Je nachdem, wie sich die Situation entwickelt, dehnen wir es auf eine oder zwei Dorfschulen in der Umgebung aus. In Lija wurde eine erfolgreiche Brunnenbohrung durchgeführt, und im September kam ein Ärzteteam für drei Tage zu einem Hilfseinsatz. Vor Beginn der Untersuchungen konnte Gottes Wort an die Patienten weitergegeben werden. „Veränderte Lebensumstände durch veränderte Herzen“, das ist unser Ziel in Ubwenzi. Es ist schnell formuliert, es zu erreichen ist alles andere als einfach. Manchmal geht es einen Schritt vorwärts, und die Freude über das Erreichte ist groß. Doch dann passiert etwas Unvorhergesehenes, und wir werden zwei Schritte zurückgeworfen. Traurig macht uns, dass viele Menschen, auch unter unseren Mitarbeitern und Kirchenmitgliedern, sich in Notfällen eher auf animistische Heiler und Zauberer verlassen, als Gott zu vertrauen. Sie nehmen auch wenig Rat an, der ihre Lebensumstände verbessern und gesundheitliche Probleme bei der Wurzel anpacken würde. Betet bitte, dass Menschen geistlich wirklich wachsen. Vroni und Johannes Urschitz Unter den Besten Im Kindergarten von Ubwenzi FOTO: JOHANNES URSCHITZ Ziemlich weit weg … … vom Spendenziel liegt bislang die Summe der im Jahr 2023 eingegangenen Gelder. Weil das so ist, haben wir in den vergangenen Monaten reagiert und gespart, wo wir nur konnten. Nun ist unser Gottvertrauen ganz besonders gefragt. Wir sind sehr gespannt, wie das Jahr in finanzieller Hinsicht ausgehen wird. Ganz nah … … hingegen will uns Gott sein. Diese Frohe Botschaft geben wir nicht nur an Weihnachten, sondern 365 Tage im Jahr auf allen Kontinenten in Wort und Tat weiter. Und wir befähigen auch andere Menschen, das zu tun. Danke, wenn du uns dabei unterstützt. Danke für deine Gebete und Gaben. Ein frohes Christfest und einen guten Start in ein gesegnetes Jahr 2024 wünscht dir im Namen der Missionsleitung Thomas Haid, Kaufmännischer Geschäftsführer PS: Aufgrund personeller Engpässe versenden wir die Zuwendungsbestätigungen für die Steuererklärung später als gewohnt. Dürfen wir um etwas Geduld bitten? Bei Fragen helfen wir gerne telefonisch weiter (07052 17-7139) oder per E-Mail an spenden@liebenzell.org Spenden (64,0%) Vermächtnisse (7,8%) offen (28,2%) 10.435.700 € Zuwendungsentwicklung bis 30. November 2023 – Vorläufiger Stand vor Verbuchung – 16,3 Mio. Euro Spendenbedarf für das Jahr 2023 1.268.300 € 4.596.000 €

18 LIEBENZELLER MISSION AKTUELL Als wir als Familie vor einigen Tagen die beeindruckende herbstliche Laubfärbung in der Umgebung bestaunten, meinte unsere jüngste Tochter Noa irgendwann trocken, dass wir eigentlich gerade das langsame „Sterben der Blätter“ feiern und bewundern würden … WEITERDENKEN >> SONDERBEITRAG ZUM THEMA VON MIHAMM KIM-RAUCHHOLZ Abschied und Aufbruch Auch wenn ich über diese Aussage zunächst einmal lachen musste, hat es mich gleichzeitig nachdenklich gemacht, dass diese wunderschöne Farbenpracht, die uns jedes Jahr so erfreut und die wir oft so enthusiastisch bestaunen, tatsächlich durch den Sterbeprozess der Blätter ausgelöst wird. Ein genetisch gesteuerter, notwendiger Alterungsprozess, der durch das Abwerfen der Blätter das Verdunsten von Wasser und damit das langsame Austrocknen des Baumes im Winter verhindert. Und es erinnert uns daran, dass Sterben und Leben, Abschied und Beginn, Trauer und Freude, Notwendigkeit und Schönheit oft näher beieinander liegen, als es uns bewusst ist. Natürliche und notwendige Veränderungen Abschiede sind ein natürlicher Teil unseres Lebens in dieser Welt. Es beginnt schon bei der Geburt, bei dem wir gleichzeitig Abschied nehmen (müssen) von dem Ort, an dem wir geborgen und sicher die ersten Monate unserer Existenz verbrachten und hineingeboren werden in ein neues Leben, das so anders ist und doch so wert-

LIEBENZELLER MISSION AKTUELL MISSION weltweit 1/2024 1 Christopher J. H. Wright, The Mission of God. Unlocking the Bible’s Grand Narrative, Downers Grove, 202. 2 Apostelgeschichte 9,1-2; 16,17; 19,9.23; 22,4; 24,14.22 3 Thomas Söding, Ein Gott für alle. Der Aufbruch zur Weltmission in der Apostelgeschichte, Freiburg 2020, 24. FOTO: ISTOCKPHOTO/RDEGRIE WEITERDENKEN >> SONDERBEITRAG ZUM THEMA VON MIHAMM KIM-RAUCHHOLZ Sonder- beitrag von Mihamm Kim- Rauchholz voll. Ein Leben, das auch weiterhin geprägt ist von biologischen und sozialen Umbrüchen und Veränderungen, die nicht nur eine neue Phase in unserem Leben einläuten, sondern uns auch oft zwingen, loszulassen von vertrauten Menschen und Umgebungen, Konstellationen und Gewohnheiten, Fähigkeiten, Träumen und Plänen. Kinder, die das Elternhaus verlassen wegen Studium, Ausbildung, Hochzeit sind Teil solcher Veränderungen – wie auch berufliche Wechsel, Umzüge oder die Erfahrung, dass der unausweichliche Alterungsprozess uns zwingt, immer mehr Abschied zu nehmen von Fähigkeiten und körperlichen Leistungen, die für uns lange Zeit selbstverständlich waren. Und meistens stellen diese Erfahrungen des Abschieds – ob nun im persönlichen oder im beruflichen Bereich – Herausforderungen dar, die nicht immer einfach zu bewältigen sind, weil man Gewohntes und Vertrautes loslassen und gleichzeitig sich auf etwas Neues einstellen muss. Nicht immer ist der „Zauber“ aus dem berühmten Gedicht von Hermann Hesse, der jedem neuen Anfang innewohnen soll, in der Realität so erfahrbar. Sie ist oft geprägt von (eher unfreiwilligen) Umbrüchen, Veränderungen und schmerzlichen Verlusten. Angesichts dieser Herausforderungen, die die verschiedenen Abschiede in unserem Leben begleiten, ist es hilfreich, sich diesem Thema aus der biblischen Perspektive zu nähern. Radikale und folgenreiche Umbrüche Eine der grundlegendsten Geschichten in der Bibel für den christlichen Glauben ist der Ruf Gottes an Abraham, sein vertrautes Leben und Umfeld zu verlassen und mit Gott auf einen neuen Weg der Verheißung aufzubrechen: „Und der Herr sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.“ (1. Mose 12,1–3) Der Ruf Gottes an Abraham beginnt mit der Forderung, loszugehen und Abschied zu nehmen von seiner Heimat, seiner Verwandtschaft, dem Haus seines Vaters, und endet in der Verheißung, dass alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden sollen in Abraham. Die Segensverheißung ist also gekoppelt an den Aufbruch Abrahams, an das Losgehen auf diesem Weg in das neue Land. Und damit aber auch, sich zu verabschieden von den alten und vertrauten Lebensumständen, die ihn sein ganzes Leben lang geprägt und ihm Sicherheit gegeben hatten. Es ist ein radikaler Umbruch, der sehr viel einfacher klingt in diesen kurzen Versen, als er sich in der Realität wahrscheinlich abgespielt hat. Mit 75 Jahren aufzubrechen und Abschied zu nehmen vom Vaterland, der Kultur und allem, was einem vertraut war, ist für viele unvorstellbar und vielleicht sogar unvernünftig. Und die Verheißung Gottes lautet nicht, dass der neue Weg leicht und angenehm verlaufen wird, sondern dass Gott Abraham segnen wird und in ihm alle Nationen. Globale und anhaltende Verheißungen Der irische Missiologe und Alttestamentler Christopher Wright bringt diesen Zusammenhang mit den folgenden Worten noch einmal auf den Punkt: „Only Abraham’s leaving releases the nation’s blessing (erst Abrahams Aufbruch setzt den Segen für die Nationen frei).”1 Damit stellt Wright klar, dass der Abschied im Leben Abrahams, der auf den Ruf Gottes hin erfolgt, nicht nur auf der persönlichen, horizontalen Ebene für Abraham und seine Familie Auswirkungen hat, sondern darüber hinaus auf einer globalen und vertikalen Ebene auch für alle Nationen, die in ihm gesegnet werden sollen. Das bedeutet, dass trotz aller Trauer über den Verlust der alten Beziehungen, trotz der Ungewissheit über das Neue und trotz des Kraftaufwands, die einem Abschied wesenhaft innewohnen, eben genau darin die Verheißung des Segens Gottes liegt. Dynamische und permanente Aufbrüche Diese Schritte, die Menschen auf Gottes Ruf hin gegangen sind, sind auch Tausende Jahre später noch nicht zu Ende gekommen. Das Christentum wird in der Apostelgeschichte oft als der „Weg“ dargestellt.2 Nach Thomas Söding ist diese Charakterisierung aufschlussreich. So schreibt er: „Sie bringt die Dynamik des Christseins in der Nachfolge Jesu zum Ausdruck. Sie reflektiert, dass etwas passiert: ein Prozess des Losgehens und Ankommens, des Suchens und Findens, der Begegnungen und Trennungen, der Aufbrüche, Rückschläge und Fortschritte. Der Weg ist ein permanenter Neubeginn.“3 Die Apostelgeschichte beschreibt konkret, wie dieser Weg eines „permanenten Neubeginns“ für die Nachfolger Jesu aussehen kann. Und wie der Glaube an das 19 Über jedem Abschied unseres Lebens, so schmerzlich und herausfordernd er manchmal auch sein mag, liegt die unwiderrufliche Verheißung des Segens Gottes, der nicht nur uns allein, sondern durch uns auch den Menschen gilt, denen wir auf diesem Weg begegnen.

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