MISSION weltweit 4/2024 11 ZUM THEMA JAPAN Stefan und Lara Degler sind nach ihrem Studium an der Interkulturellen Theologischen Akademie und der Vorbereitung auf ihren Missionsdienst im Dezember 2019 zum ersten Einsatz nach Japan ausgereist. Seit dem Abschluss ihres Sprachstudiums sind sie Teil der Gemeindegründung in der 40.000-Einwohner-Stadt Sakuragawa. Rundbriefe und mehr: www.liebenzell.org/degler FOTO: STEFAN DEGLER Auch heute im Gemeindealltag ist es immer wieder sehr herausfordernd für uns, japanischen Gemeindegliedern, Freunden und Kollegen unsere „Fehlzeiten“ mitzuteilen. Genügend Urlaubstage haben und frei darüber verfügen können, ist ein Vorrecht. In Japan ist es fast undenkbar: Viele Menschen nehmen nur vier bis fünf Tage Urlaub im Jahr, obwohl ihnen mehr zusteht. Dazu machen sie sehr viele Überstunden und sind häufig überarbeitet. Wenn wir Japaner fragen, wie sie es schaffen, so viel zu tun, kommt immer wieder das Konzept von „gaman“ zur Sprache. Das Wort bedeutet so viel wie Geduld oder Ausdauer. Uns wird dann gesagt: „Ich muss eben gaman machen.“ Das beschreibt sehr gut den tief in der japanischen Kultur verwurzelten Wert des Durchhaltens und der Resilienz. Diese Tugend, Widrigkeiten standhaft zu ertragen, ohne sich zu beschweren, wird Japanern von klein auf antrainiert. Japaner sind mir deshalb zum Paradebeispiel für Resilienz geworden. Krisen: eine kollektive Herausforderung Die „Gaman-Tugend“ ist etwas, was wir Deutschen von den Japanern lernen können, wenn es um Krisenbewältigung geht. Hier werden Krisen oft als kollektive Herausforderungen betrachtet. In Krisenzeiten wird von den Menschen erwartet, ruhig und gefasst zu bleiben, ihre eigenen Bedürfnisse zurückzustellen und das Wohl des Gesamten im Auge zu behalten. In Krisen neigen Japaner eher dazu, zusammenzuarbeiten und einander zu unterstützen. Aber gaman hat aus meiner Sicht auch Grenzen und Gefahren. Der Druck, durchhalten zu müssen, führt die Menschen nicht selten in Depressionen und Erschöpfungszustände. Ich frage mich darum: Wie resilient muss ein Mensch sein? Wo hat Resilienz/gaman seine Grenzen? Wann geht ein Mensch daran kaputt? Während die japanische Kultur das Konzept des gaman betont, lehrt uns die Bibel eine andere Art der Resilienz. Sie basiert auf Vertrauen in Gott und seine Kraft. In Jesaja 40,31 heißt es: „Die aber auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.“ Wahre Resilienz entsteht nicht aus eigener Kraft, sondern durch das Vertrauen in Gottes Stärke. Während gaman uns lehrt, auf die Zähne zu beißen und standhaft zu bleiben, erinnert uns die Bibel daran, dass wir unsere Sorgen und Nöte vor Gott bringen dürfen. Stefan Degler Früh übt sich Krisenbewältigung „Zwei Wochen?! So lange?“ Das Erstaunen war unserer Japanisch-Lehrerin deutlich ins Gesicht geschrieben. Mit einem Gefühl der Anspannung hatten Lara und ich an diesem Morgen unseren Mut zusammengenommen und ihr unsere Urlaubspläne vermittelt. Gottesdienst in Sakuragawa. Die Gemeinde will auch ein Ort sein, an dem Menschen sie selbst sein und zur Ruhe kommen können 1 Der gesetzliche jährliche Urlaubsanspruch beträgt zehn Tage nach einem Jahr im Unternehmen. Er steigt um einen Tag pro Jahr bis auf maximal 20 Tage. In der Praxis nehmen Japaner aber viel weniger Urlaub. Menschenmassen am Strand FOTO: HERRMANN STAMM
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