LIEBENZELLER MISSION AKTUELL MISSION weltweit 2/2024 3 Evangelische Kirche in Deutschland (2023) Wie hältst du’s mit der Kirche. Anhang: Tabelle mit Grundauszählungen der KMU 6, S.15, www.kmu.ekd.de. 4 McGavran, D. A. (1955) The Bridges of God. New York, NY: Friendship Press, v. a. S. 31–35. 5 Stark, Rodney (2011): The Triumph of Christianity. New York, NY: HarperOne, Kap. 7, Abschnitt: Secondary Conversions. 6 Vgl. IGW International (2009): 12 Thesen zur missionalen Theologie, www.igw.edu. WEITERDENKEN >> SONDERBEITRAG ZUM THEMA VON SIMON HERRMANN 19 von Christen. Diejenigen, die gingen, sprachen oft davon, einen inneren Ruf zu haben, sich in die weite Welt senden zu lassen. Ein drittes Merkmal dieser Zeit sind die Missionsgesellschaften, die die Arbeit organisierten. Wie eng der Kontakt der Gemeinden mit den Gesellschaften und den aus ihrer Mitte entsandten Missionaren war, variierte. Mission geschah also weit weg durch spezielles Personal, möglich gemacht von dafür gegründeten Organisationen. Eigentlich sollte die Verkündigung der Frohen Botschaft und die Einladung, durch Umkehr und Erneuerung Teil des Reiches Gottes zu werden, Wesensmerkmal der Kirche Jesu Christi sein (Lukas 24,47). Aber über große Strecken der Geschichte hinweg wurde diese Kernaufgabe verengt auf den Teilaspekt der Mission irgendwo weit weg von zu Hause. Die Zeiten haben sich geändert Seither hat sich unser Umfeld gravierend geändert: Der christliche Glaube hat für viele Menschen in Europa seine Bedeutung längst verloren. Laut einer aktuellen Erhebung glauben in Deutschland noch 19 Prozent der Bevölkerung, „dass es einen Gott gibt, der sich in Jesus Christus zu erkennen gegeben hat.“3 Mission vor der Haustür, im eigenen Umfeld, wird von grundlegender Bedeutung sein für die Zukunft der Christenheit in Deutschland und Europa, weil Christ zu werden und zu bleiben keine Selbstläufer sind. Wir müssen uns von der Idee verabschieden, Mission geschehe nur weit weg, sei nur etwas für Spezialisten und werde durch Organisationen betrieben. Der Rahmen für die Mission ist von Grund auf viel weiter gedacht: Wir sind hineingenommen in die Sendung Gottes in die Welt und zu ihren Menschen, und sie hat sowohl eine lokale als auch eine globale Komponente. Schon in den 1950er-Jahren hat der amerikanische Missionstheologe Donald McGavran erkannt, dass Menschen zumeist durch Christen zum Glauben kommen, die ihnen nahestehen, dieselbe Herkunft haben, dieselbe Sprache sprechen und ihnen kulturell ähnlich sind.4 Auch der amerikanische Religionssoziologe Rodney Stark stellte fest, dass Menschen sich am ehesten einer Religion zuwenden, wenn ihre Freunde und Verwandten dies bereits getan haben.5 Beobachtungen aus der Missionsgeschichte belegen das. Während Missionare oft den Impuls gaben und einige durch ihre Botschaft zum Glauben kamen, wurde das Evangelium durch die Menschen vor Ort weiterverbreitet – und nicht nur von lokalen Pastoren, sondern von „ganz normalen“ Christen, die von der Frohen Botschaft ergriffen waren und sie Verwandten, Nachbarn und Freunden weitersagten. Wenn Paulus in Römer 15,19 behauptet, dass er das Evangelium zwischen Jerusalem und dem heutigen Albanien verkündigt hat und es dort keine Aufgabe mehr für ihn gibt (V. 23), dann kann er damit nicht gemeint haben, dass er in jedem Dorf eine Gemeinde gegründet hat. Paulus setzt offensichtlich voraus, dass Christen und Gemeinden in ihrem Umfeld eine missionarische Strahlkraft entwickeln und sich das Evangelium so weiterverbreitet. Wir können in unserer westlichen Welt nicht mehr davon ausgehen, dass Menschen mit der Botschaft von Gott, der die Menschen liebt und sich nach ihnen sehnt, vertraut sind. Das Evangelium muss neu erklärt und vielleicht noch mehr demonstriert und vorgelebt werden, – verbunden mit der Einladung, sich Christus und seiner Kirche anzuschließen. Deutschland hat Mission nötig. Um diesen missionsorientierten Charakter von Christen und Gemeinden hervorzuheben, wird heute oft das Wort „missional“ genutzt.6 Während „missionarisch“ mit Aktionen oder Einsätzen verbunden wird, soll mit „missional“ zum Ausdruck gebracht werden, dass das gesamte Sein und Handeln von Christen und Gemeinden als Teilnahme an Gottes Handeln in der Welt verstanden wird. Alles soll vom Motiv der Mission durchdrungen sein. Das gesamte Leben der Gemeinde ist Zeugnis des Evangeliums; dies gilt für eine evangelistische Veranstaltung genauso wie für das gemeinsame Leben, in dem Gottes Werte in der Praxis umgesetzt werden, oder für den Einsatz für Benachteiligte, der Gottes Zuwendung zur Welt zeigt. Diese Ausrichtung geht in die richtige Richtung, weil ins Bewusstsein gerufen wird, dass Christen als Salz und Licht für ihr Umfeld bestimmt sind (Matthäus 5,13–14). Mission also nur noch im eigenen Umfeld? Der Gedanke könnte naheliegen: „Wenn bei uns die geistliche Not mittlerweile so groß ist und Menschen in erster Linie durch ihresgleichen erreicht werden, dann lasst die Mission im Ausland komplett bleiben. Konzentriert alle Kräfte darauf, Menschen in Deutschland zu erreichen. Vielleicht hat die Weltmission ihre Zeit gehabt. Jetzt sind andere Prioritäten zu setzen!“ Mission in anderen Gegenden der Welt muss tatsächlich neu begründet werden. Das kann hier nur bruchstückhaft geschehen. Folgende Punkte sollten bedacht werden: Es gibt immer noch Gegenden, in denen es kaum christliche Präsenz gibt und ganze Volksgruppen keine Chance haben, durch andere Menschen von Jesus Christus zu erfahren. Dies darf uns nicht egal sein. Auch wenn nicht alle die Frohe Botschaft annehmen werden, sollen sie wenigstens die Möglichkeit haben, diese zu hören. Jesus vertritt diese globale Vision, wenn er sagt, dass das Ende dieser Weltzeit nicht kommt, bevor alle Völker das Evangelium gehört haben (Matthäus 24,14). Dazu benötigt es aber Anstöße, Impulse von außen. Es braucht nach wie vor Menschen, die hingehen, um andere zu Jüngern zu machen (Matthäus 28,19). Darüber hinaus benötigen wir uns in der Weltchristenheit gegenseitig. So braucht es auch uns weiterhin: Die Erfahrung in der Missionsarbeit, unsere interkulturelle Kompetenz, Strukturiertheit und Bibelzentriertheit sind Eigenschaften, die im Zusammenspiel mit Christen und Kirchen anderer Länder und Kulturen von enormem Wert sein können. Wir haben nach wie vor Qualitäten einzubringen, die für die Ausbreitung des Evangeliums und die Begleitung von Menschen auf dem Weg, Jünger Jesu zu werden und zu sein, von großer Bedeutung sind. Wo wir diese Kompetenzen mit Mut und Demut als Partner einbringen, sind wir weiterhin gefragt und werden benötigt. Wir sind hineingenommen in die Sendung Gottes in die Welt und zu ihren Menschen, und diese Sendung hat sowohl eine lokale als auch eine globale Komponente.
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