MISSION weltweit 3/2024 FRANKREICH 11 ZUM THEMA Reichtum und Spannungsfeld zugleich Wir kennen diese Wahrheit. Und wir wissen um ihre Wirklichkeit. Da wachsen wir mit Geschwistern im Glauben auf, die wir uns nicht heraussuchen konnten. Wir essen und trinken mit „Alteingesessenen“ und „Neuankömmlingen“, teilen mit Eltern und Kleinkindern. Wir sitzen zwischen Teenagern und versuchen, uns mit Brüdern und Schwestern anderer Hautfarbe zu verständigen. Welch ein Reichtum! Welch ein Spannungsfeld! So erlebt bei unserem letzten Weihnachtsessen in Alençon: N., das älteste Mitglied, unsere „GemeindeOma“, hat mit ihrer Kochkunst und Organisationsgabe ihre Aufgabe gefunden. Seit Jahren ist sie für die gemeinsamen Mahlzeiten verantwortlich. Sie tut es hingebungsvoll und voller Liebe „für ihre neue Familie“, wie sie immer wieder betont – waren doch viele Beziehungen in ihrer „alten“ zerbrochen. Auch dieses Mal soll es zum Christfest ein französisches Festessen geben. Ein Menü mit mehreren Gängen, versteht sich. Bisher hatte der Platz immer gereicht: eine lange Tafel im Flur unserer Gemeinderäume. Doch die Familie ist größer geworden. Dieses Mal bleiben mehr Gottesdienstbesucher zum Essen da. Unangemeldet. Konnten sie sich nicht an die Abmachung halten und sich in die vorbereitete Liste eintragen? N. kommt ins Schwitzen. Auch bei der Sitzordnung gilt es zu improvisieren. Sollten wir nicht den Jugendraum mitbenutzen und damit den Flur „entlasten“? Vorstellungen werden schnell zu Anweisungen – und führen zum nächsten „couac“ (Misston, wörtlich „Knacken“) am Familientisch. S. zwängt auch noch den letzten Tisch in die lange Reihe. Wir wollen alle zusammenbleiben, meint er. Platz zum Gehen bleibt keiner. Die Gerichte müssen noch weiter herumgereicht werden. Der Geräuschpegel steigt. Man hat Mühe, einander zu verstehen. Die Jugendlichen sitzen selbstverständlich zusammen am hinteren Ende. Sie wären nebenan ungestörter gewesen. Es war vorherzusehen … Was wir nicht vorhersehen konnten Mitten in der Vorspeise kommt C. mit einem großen Topf Reis und Hähnchen und stellt ihn mitten auf den Tisch. Manch einer bekommt einen Schöpfer des leckeren nigerianischen Essens direkt auf seinen Teller. Ein „Au-revoir“ (Auf Wiedersehen) für unser Menü mit der geplanten Abfolge! Einige schlucken, das Vorbereitungsteam muss sich erst beruhigen. Aber kaum jemand bekommt die Spannung mit. Die Gespräche am langen Tisch gehen weiter, der Austausch bleibt herzlich. Eine Kleinigkeit? Natürlich. Und doch kann wegen kleiner Dinge Unmut aufkommen, „der Haussegen schief hängen“, echter Streit entstehen. Davor hat unser himmlischer Vater seine Kinder in unserem Fall bewahrt. Wie dankbar sind wir, dass Gottes Familie in Alençon weiter zusammenhält und bei allem Zuwachs auch zusammenwächst. Was wir lernen wollen Das letzte Weihnachtsessen ist uns „eine Lehre“: Auch in Frankreich, auch in unserer Gemeinde, gibt es verschiedene Esskulturen. Um davon zu profitieren, müssen wir miteinander reden und eine passende Form für eine gemeinsame Familienkultur finden. Damit Gemeinschaft auch am Esstisch gelingt. Damit Liebe weiterhin durch den Magen gehen kann. C. ist mittlerweile für den sonntäglichen Kirchenkaffee verantwortlich. Einmal im Monat lädt die Gemeindefamilie zu einem einfacheren „bring and share“ (mitbringen und teilen) ein. Dabei bedienen wir uns am Buffet und verteilen uns auf verschiedene Räume. Warum nicht wieder einmal ein französisches Menü? Norbert Laffin Norbert und Susanne Laffi n stammen beide aus Süddeutschland. Norbert absolvierte nach dem Abitur das Theologische Seminar der Liebenzeller Mission, Susanne wurde Krankenschwester. Nach dem Französisch-Sprachstudium zogen sie in die Normandie, wo die meisten ihrer sechs erwachsenen Kinder leben und arbeiten. Nachdem Laffins 27 Jahre in der Gemeindegründung in Coutances tätig waren, sind sie seit 2017 in Alençon eingesetzt. Rundbriefe und mehr: www.liebenzell.org/ laffin-norbert-susanne Kein Christ ist ein Einzelkind. EUGENE PETERSON FOTOS: NORBERT LAFFIN Kleines Essen (links) nach dem Gottesdienst in Alençon (rechts)
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