18 LIEBENZELLER MISSION AKTUELL Hat Gott Lieblinge? Biblische Perspektiven Der Mensch als Gattung ist als Ebenbild Gottes geschaffen, darum mit unendlichem Wert versehen und zur ewigen Gemeinschaft mit Gott bestimmt. WEITERDENKEN >> SONDERBEITRAG ZUM THEMA VON MARKUS ZEHNDER Das Ja bezieht sich insbesondere (aber nicht ausschließlich) auf das Thema Erwählung, das Nein soll den Gedanken entkräften, dass Gottes Heilsplan womöglich nicht allen gilt. Diesen beiden Linien wollen wir im Folgenden zuerst nachgehen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit und ohne Anspruch darauf, dass damit die Frage nach Gottes „Lieblingen“ biblisch-theologisch in allen ihren Verzweigungen beantwortet ist. Ja, Gott hat Lieblinge – im Alten Testament Am Ende der Urgeschichte, in 1. Mose 11,9, steht eine von Gott getrennte und von der Sünde und ihren Folgen geprägte Menschheit. Dem setzt Gott seinen Heilsplan entgegen, der mit Abrahams Erwählung beginnt (1. Mose 12,1–3). Diese bedeutet, dass Gott beschlossen hat, sein Heil nicht gleichmäßig für alle Menschen direkt zugänglich zu machen. Stattdessen geht er zur Vermittlung seines Heils den partikularen Weg: die Berufung eines einzelnen Menschen und seiner Nachkommen. Unter diesen Nachkommen wählt er wiederum nur den Weg über einen bestimmten Zweig, nämlich den, der über Isaak zu Jakob und seinen Söhnen läuft und im Volk Israel mündet. Die Söhne Hams und Japhets, Esau und alle weiteren, die nicht zur Linie Abraham-Isaak-Jakob-Jakobssöhne gehören, bleiben dagegen als „Nicht-Lieblinge“ quasi auf der Strecke. Warum Gott ausgerechnet Abraham beruft, wird im biblischen Text nicht begründet; besondere Qualitäten Abrahams werden nicht als ausschlaggebend erwähnt. Interessant ist, dass er in Jesaja 41,8 ausdrücklich als vom Herrn „geliebt“ bezeichnet wird – womit auch sprachlich bestätigt wird, dass Gott „Lieblinge“ hat. Schon davor gibt es einen „Liebling“ Gottes: Noah. In diesem Fall werden aber, anders als bei Abraham – und das ist ein wichtiger theologischer Unterschied –, explizit Gründe genannt, warum Noah zusammen mit seiner Familie Gnade vor Gott findet: Er ist tamim, vollkommen, und „wandelte mit Gott“ (1. Mose 6,9). Schon bei den Opfern Abels und Kains wird berichtet, dass Gott im einen Fall wohlgefällig auf den Opfernden und sein Opfer sah, im anderen nicht (1. Mose 4,3–5). Auch hier wird kein Grund für die Ungleichbehandlung durch Gott genannt. Allerdings lassen sich in diesem Fall Vermutungen darüber anstellen, ob es für die Ungleichbehandlung einen Grund im unterschiedlichen Verhalten der Brüder gegeben haben könnte. Vielleicht bezeugte Abel dadurch größere Ehrerbietung, dass er von den Erstlingen und dem Besten opferte, was bei Kain nicht notiert wird. Theologisch besonders bedeutsam ist die Doppellinie, die sich an den vorangehenden Beispielen ablesen lässt: Auf der einen Seite gibt es Fälle, bei denen Gott Menschen unabhängig von ihrem Verhalten erwählt; auf der anderen Seite steht Gottes Wahl in Zusammenhang mit der besonderen Frömmigkeit der betreffenden Menschen. Würde die Frage „Hat Gott Lieblinge?“ im Kontext einer Predigt oder Jugendstunde gestellt, müsste die Antwort lauten: „Ja – dich!“ Wenn wir aber einen Schritt zurücktreten und für den Moment auf die homiletische und seelsorgerliche Zuspitzung verzichten, lautet die Antwort: „Ja und Nein!“
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