LIEBENZELLER MISSION AKTUELL MISSION weltweit 2/2025 WEITERDENKEN >> SONDERBEITRAG ZUM THEMA VON MARKUS ZEHNDER 19 Ja, Gott hat Lieblinge – im Neuen Testament An einigen Stellen der Evangelien wird deutlich, dass Jesus „Lieblinge“ hatte, etwa den Jünger, den er besonders liebte (Johannes 13,23; 19,26; 21,20) – wohl Johannes. Auf einige der Bevorzugungen Gottes im Alten Testament wird im Neuen Testament bestätigend hingewiesen. In Römer 9,13 ist – mit Bezugnahme auf Maleachi 1,2–3 – davon die Rede, dass Gott Jakob geliebt, Esau aber gehasst hat. Wichtig ist, dass „hassen“ in diesen Zusammenhängen nicht mit der menschlichen Emotion des Hasses gleichzusetzen ist, sondern lediglich auf die Nicht-Erwählung hinweist. Diese ist wiederum nicht mit ewiger Verwerfung gleichzusetzen, sondern betont, dass die betreffende Person, hier Esau, nicht Teil der Linie ist, durch die Gott seinen besonderen Segen an andere weiterleiten will. Dass Israel als Volk Gottes ausgewählt wird, dient der Wiederherstellung der durch die Sünde gestörten Beziehung zwischen den Menschen und Gott. Sie wird fortgesetzt in der Errichtung der Gemeinde des neuen Bundes, der ekklesia (wörtlich: „Herausgerufene“), des Leibes Christi, des Tempels des Herrn. Dieser besteht aus den „Heiligen“, d. h. den für Gott Ausgesonderten. Alle diese Begriffe weisen auf eine Sonderstellung der Glieder der Gemeinde gegenüber den anderen Menschen hin – also wiederum „Lieblinge“ Gottes. Die Bezeichnung „Geliebte“ (agapetoi) findet sich sogar gut fünfzigmal explizit. Nein, Gott hat keine Lieblinge – im Alten Testament Beginnen wir gleich bei 1. Mose 1,26: Der Mensch als Gattung, d. h. jedes Individuum, unabhängig von seinem Geschlecht oder seiner ethnischen Zugehörigkeit, ist als Ebenbild Gottes geschaffen, darum mit unendlichem Wert versehen und zur ewigen Gemeinschaft mit Gott bestimmt. Diese Würdestellung verliert der Mensch auch nach dem Sündenfall nicht, wie etwa 1. Mose 9,6 zeigt. Der zweite wichtige Punkt: Die Erwählung Abrahams und von ihm ausgehend Israels bedeutet nicht, dass das Ziel des Heilsplans Gottes nur auf Israel bezogen ist. Gleich in 1. Mose 12,3 wird ausdrücklich festgehalten, dass durch Abraham alle Geschlechter der Erde Segen finden sollen. Der Weg geht über eine einzelne Person, aber das Ziel sind alle. Dazu passt, dass schon bei der Volkwerdung Israels, im Zusammenhang des Auszugs aus Ägypten, notiert wird, dass „viel fremdes Volk“ mit den Israeliten auszog (2. Mose 12,38) und Vorkehrungen dafür getroffen werden, dass durch Beschneidung Fremde in das Volk Israel eingegliedert werden können (2. Mose 12,48). Eine wichtige Rolle spielt 2. Mose 19,5–6: Während hier die Sonderstellung Israels vor den übrigen Völkern beschrieben wird, wird sie zugleich auch relativiert: Ja, Israel ist Gottes besonderer Schatz, aber es wird auch unterstrichen, dass Gott die ganze Welt gehört. Die Rolle Israels wird als die eines Priesters beschrieben. Dessen Funktion besteht darin, die übrigen Menschen – also FOTO: ISTOCKPHOTO/ZU_09 Sonder- beitrag von Markus Zehnder Gott hat eine besondere Vorliebe für die Schwachen, die in den Augen der Menschen wenig oder nichts gelten. Zur Erwählung des Volkes, das aus dem Samen Abrahams hervorgeht, kommt eine weitere hinzu: die Erwählung Davids und seiner Nachkommen als Könige auf dem Thron in Jerusalem (1. Samuel 16). Bei dieser treten wiederum – wie schon in der Ur- und Vätergeschichte – wichtige theologische Merkmale auf: Gott erwählt denjenigen, der nach menschlichen Kriterien, in diesem Fall v. a. der sozialen Vorrangstellung und der Stärke, der Erwählung nicht würdig ist (vgl. die Berufung des Mose, dessen „Zunge schwer“ ist, oder Jeremias, der „zu jung“ ist). Das ist Teil einer sich durch die ganze Bibel ziehenden Linie: Gott hat eine besondere Vorliebe für die Schwachen, die in den Augen der Menschen wenig oder nichts gelten (siehe im NT z. B. 1. Korinther 1,27).
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