MISSION weltweit – Ausgaben 2025

20 Aktuelle Implikationen: Die persönliche Ebene Ein Aspekt erscheint im persönlichen Bereich besonders wichtig – und damit kehren wir zurück zur seelsorgerlichen Ebene: Es ist in der Tat so, wie es nicht nur in der Bibel, sondern auch die tägliche Lebenserfahrung vor Augen führt: Gott teilt unterschiedlich zu, Gaben jeder Art, einschließlich materieller Gaben – und ist damit nach menschlichem Maßstab nicht „gerecht“, sondern lässt zu, dass es auf dieser Seite der Ewigkeit einigen besser geht als anderen. Man kann die Bevorzugten als „Lieblinge“ bezeichnen. Allerdings wird eine solche Kategorisierung dem biblischen Befund nicht gerecht. Man denke nur an Hebräer 12,6–7, wo es heißt, dass der Herr den züchtigt, den er lieb hat (siehe schon Sprüche 3,12). Ebenfalls hilft die Wahrnehmung der folgenden beiden biblischen Linien: Segen verschiedener Art ist eine positive Sache. Aber Wohlergehen muss nicht unbedingt Zeichen der Nähe Gottes sein – das zeigt das Ringen des Beters in Psalm 73. Genauso wenig sind Nöte bis hin zum Verlust des Lebens zwingend Zeichen der Abwesenheit oder Missgunst Gottes – man denke an die Märtyrer in der Bibel und durch die ganze Kirchengeschichte hindurch. Entscheidend ist nicht materielles Wohlergehen, sondern die Nähe Gottes: „Wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde.“ (Psalm 73,25) Gott wird, wenngleich oft erst in der kommenden Welt, die erhöhen, die jetzt zu kurz kommen und unten sind. Beispiele finden sich in 1. Samuel 2,8 und Lukas 1,52–53. Grundlegend ist: Wie die äußeren Lebensumstände auch aussehen, der Zuspruch der Gottebenbildlichkeit gilt jedem persönlich. Ebenso verhält es sich mit dem Wort aus Psalm 139,13–16, das darauf hinweist, dass Gott bei der Schaffung jedes Menschen direkt beteiligt ist, und mit der Zusage aus Johannes 3,16, die davon spricht, dass der Sohn hingegeben wird aufgrund der Liebe des Vaters für die Welt. Nicht zuletzt gilt das für die unter uns, die schwach und gering geachtet sind. Somit sind wir alle „Lieblinge“ Gottes. Aktuelle Implikationen: Die überindividuelle Ebene In diesem Bereich verdient ein Punkt aktuell unsere spezielle Aufmerksamkeit: Aus Römer 9–11 – sowie einer Reihe weiterer Texte in beiden Testamenten – wird deutlich, dass trotz des universalen Ziels Gott weiterhin einen besonderen Plan für das erste Bundesvolk, Israel, hat. Es ist also weiterhin ein „Liebling“ Gottes. Nur für Israel gibt es eine besondere Verheißung, die auf das Volk als Ganzes zielt (siehe Römer 11,26). Das bedeutet, dass wir uns als Glieder des neuen Bundes positiv zum Volk Israel stellen und damit auch zur neuen staatlichen Heimat dieses Volkes. Prof. Dr. habil. Markus Zehnder (*1964 in Basel) studierte evangelische Theologie in Basel und war danach Research Fellow in Jerusalem und Harvard. Er unterrichtete in Basel, Ewersbach, Kristiansand (Norwegen), Leuven (Belgien) und La Mirada (USA). Seit 2024 ist er Professor für Altes Testament an der Internationalen Hochschule Liebenzell. WEITERDENKEN >> SONDERBEITRAG ZUM THEMA VON MARKUS ZEHNDER hier die übrigen Völker – in Verbindung mit Gott zu bringen. Das ganze nachfolgende Gesetz, angefangen bei den Zehn Geboten in 2. Mose 20, dient dazu, Israel zu einem Modell zu formen, als Inspiration für die restliche Völkerwelt. In Jesaja 42,4.6 wird darüber hinaus das Wirken des Knechts des Herrn auf die „Erde“ und die „Inseln“ ausgedehnt und von ihm gesagt, dass er „ein Licht für die Heiden“ sein soll. Letzteres wird in Jesaja 49,6 ergänzt mit der Verheißung, dass er Gottes Heil sein soll „bis an die Enden der Erde“. Nein, Gott hat keine Lieblinge – im Neuen Testament Die Ausweitung der Grenzen des Volkes Gottes über Israel hinaus ist einer der Grundzüge der Schriften des Neuen Testaments. Einige Beispiele sollen genügen. Der Missionsauftrag in Matthäus 28,19–20 zielt auf „alle Völker“. Ähnlich verhält es sich in Apostelgeschichte 1,8, wo den Jüngern zugesagt wird, dass sie Jesu Zeugen sein werden „bis an die Enden der Erde“. In Entsprechung dazu hält 1. Timotheus 2,4 fest, dass Gott will, dass allen Menschen geholfen wird. Epheser 2 entwickelt ausführlich den Gedanken, dass das neue Gottesvolk auch aus solchen besteht, die aus den Heidenvölkern stammen. Weiter macht Galater 3,28 deutlich, dass es im Zugang zum Heil in Christus keine Beschränkung ethnischer, geschlechtlicher oder sozialer Art gibt. Ähnliche Aussagen finden sich implizit oder explizit häufig in den Briefen des Neuen Testaments. An zahlreichen Stellen der Offenbarung wird deutlich, dass auch in endzeitlicher Perspektive das neue Gottesvolk aus Angehörigen aller Völker besteht, siehe z. B. Offenbarung 7,9. Grundlage dieser Ausweitung der Gemeinde ist, dass Gott die ganze Welt liebt – und darum seinen Sohn für sie dahingegeben hat (Johannes 3,16). Am Ende dieser Durchsicht ist festzuhalten, dass es wichtig ist, beide Seiten zusammenzuhalten: den partikularen Weg Gottes über Einzelpersonen und seine Ungleichbehandlung von Individuen und Gruppen einerseits sowie andererseits das universale Heilsziel, das jeden einschließt, der sich dem Herrn zuwendet. Wohlergehen muss nicht unbedingt Zeichen der Nähe Gottes sein. Genausowenig sind Nöte bis hin zum Verlust des Lebens zwingend Zeichen der Abwesenheit oder Missgunst Gottes.

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