24 RATLOS Ratlos vor der Krise unserer Schulen das Niveau für alle oder man hängt einen signifikanten Teil der Schüler ab. Wenn die Polizei die Probleme lösen muss … Als ob das alles noch nicht reicht, leiden Schulen auch unter zunehmender Gewalt im Schulalltag. Die Anzahl der „Strafanzeigen mit Schulbezug“ steigt. Eine offizielle Statistik vermeldete 2023 für ganz Berlin, dass die Polizei im Schnitt fünfmal pro Tag zum Einsatz an einer Schule ausrücken musste. Im Jahr davor wurden in der Hauptstadt 2.300 Schüler Opfer von körperlicher Gewalt. 237 Lehrkräfte wurden angegriffen oder bedroht. Der Allgemeine Schulleitungsverband Deutschland konstatiert eine Erosion, was den Respekt vor Schule und Lehrkräften angehe.2 Es fehlen Lehrer, Lehrer und nochmals Lehrer Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig. Neben der enormen Zuwanderung der letzten zehn Jahre, dem dazugekommenen Anspruch der Inklusion, der hinkenden Digitalisierung der Schulen und der chronischen Unterfinanzierung ist es in erster Linie der dramatische Fachkräfte- bzw. Lehrermangel, der immer öfter zu eingeschränktem Unterricht oder gar zum Totalausfall von Fächern in einzelnen Klassenstufen führt. Die Kultusministerkonferenz der Länder schätzt, dass bis zum Jahr 2035 68.000 Lehrkräfte fehlen werden. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft beziffert den Mangel sogar auf 110.000 Lehrerinnen und Lehrer, und Dieter Dohmen, Präsident des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie, geht davon aus, dass wir bis 2035 zwischen 115.000 und 177.000 Lehrer zu wenig haben werden. Es könnte also noch schlimmer kommen. Dieweil werden große Teile einer ganzen Generation um ihre Bildungs- und damit Zukunftschancen gebracht. „Alle, aber wirklich alle sagen: Unser deutsches Schulsystem ist kaputt. Lehrer und Schüler, Eltern und Politiker, sie alle beklagen die Zustände, Ergebnisse und Perspektiven deutscher Schulen.“ Mit diesen Zeilen beginnt Prof. Dr. Wolfgang Stock, seines Zeichens Generalsekretär des Verbandes evangelischer Bekenntnisschulen, sein Buch „Rettet unsere Schulen! Wie wir die Bildungskrise überwinden und unseren Kindern eine bessere Zukunft schenken“ (fontis-Verlag 2024). Das Buch ist Hilferuf, Protest- und Programmschrift zugleich. Lesen, Schreiben, Rechnen – es hapert an den Grundlagen Die Liste dessen, was im Argen liegt, ist lang. So brachte die letzte PISA-Studie, die 2022 durchgeführt und 2023 veröffentlicht wurde, eine Reihe weiterer Ernüchterungen: Mehr als ein Viertel der Neuntklässler an deutschen Schulen können nicht richtig lesen. Sie können Kernaussagen eines normalen kurzen Textes nicht verstehen. Dies deckt sich mit der Wahrnehmung vieler Hochschullehrer: Um die Rechtschreibkenntnisse der Schüler und Schulabgänger ist es oft dramatisch schlecht bestellt – weit schlechter als in früheren Jahren. Dazu kommt, dass jede/r dritte 15-Jährige kaum rechnen kann. Damit fehlen nach neun Jahren Schule 30 % der Schüler immer noch grundlegende Voraussetzungen.1 In Deutschland haben 20 % der 20- bis 34-Jährigen keinen beruflichen Bildungsabschluss, obwohl Auszubildende eigentlich überall gesucht werden. Lehrer und Schulen stehen heute im Grunde vor der Wahl zwischen Pest und Cholera: Entweder man verlangsamt das Lerngeschehen und senkt 1Die ZEIT, Nr. 52/2023, S. 31. 2 Die ZEIT, Nr. 31/2024, S. 31.
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