„Gott hat keine Lieblinge“ ist der Titel dieser Ausgabe. Ist dem so? Ich denke, dass jeder Mensch eine unantastbare Würde hat und mit seinen individuellen Stärken und Schwächen liebenswert ist. Du arbeitest seit vier Jahren im Büro eines Bundestagsabgeordneten. Möchte man da manchmal Bürger je nach Anfragen in Lieblinge und Nicht-Lieblinge einteilen? (Schmunzelt.) Auf jeden Fall. Es kommen sehr viele Menschen mit verschiedenen Anliegen auf uns zu. Manche davon haben polarisierende oder gar radikale Sichtweisen. Da bin ich schnell versucht, Menschen in eine Schublade zu stecken. Umso wichtiger ist es dann, die Personen in ihrer Lebenswelt zu verstehen und mit ihnen auf Augenhöhe zu sprechen. Hierdurch kann auch ich reflektieren: Was ist die Wahrheit, die ich glaube? Das schärft wiederum meine eigene Überzeugung. Was war für dich in deiner Bundestagszeit eine besondere Freude? Einen Lieblingsmoment habe ich bei einem runden Tisch mit Bundestag, Kirche und Sozialverbänden in Berlin erlebt. Es ging um Prostitution. Trotz unterschiedlicher Standpunkte haben wir es geschafft, miteinander Möglichkeiten zu erarbeiten, um die betroffenen Menschen zu unter- REBEKKA GÄRTNER hat evangelische Theologie und Soziale Arbeit im interkulturellen Kontext an der Internationalen Hochschule Liebenzell studiert. Bei der Diakonie baute sie eine Beratungsstelle für Menschen in der Prostitution auf. Heute arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Deutschen Bundestag und engagiert sich ehrenamtlich in der Jugend- und Frauenarbeit ihrer Heimatgemeinde. stützen. Das Besondere: Wir haben gemeinsam auf ein Ziel hingearbeitet. Durch Dialog und Zusammenarbeit kann unsere Gesellschaft gelingen. Das bedeutet nicht, die eigenen Werte zu verleugnen. Eines deiner Lieblingsthemen ist die Sozialpolitik. Was reizt dich daran? Ich bin in einem privilegierten Elternhaus aufgewachsen. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Aus Dankbarkeit möchte ich Menschen unterstützen, die nicht dieselben Voraussetzungen hatten. Besonders die Stärkung von Frauen liegt mir am Herzen, zum Beispiel die Osteuropäerin in der Altenpflege oder die alleinerziehende Mutter an der Supermarktkasse. Sozialpolitik ist eine Grundfeste unserer Demokratie, die unsere Gesellschaft zusammenhält. Sie muss jedoch im Zusammenspiel mit Wirtschafts-, Klimaschutz-, Innen- und Sicherheitspolitik gedacht werden. Wir dürfen Menschen in schwierigen Situationen nicht alleinlassen und müssen dafür sorgen, dass Ausbeutung, Armut und Diskriminierung in der Gesellschaft keinen Platz finden. Wie erfährst du denn in dieser Sozialpolitik Gott? Das ist eine schwierige Frage. Ich glaube, dass es ein Ausdruck des Himmels ist, wenn wir uns anderer Menschen annehmen – ob durch Fordern und Fördern oder durch das Gebet. Es ist Stückwerk, und ich denke, Gottes Wirken ist natürlich noch viel größer und weiter. Daher bin ich gespannt, wie er mich in Zukunft gebrauchen wird. Die Fragen stellte Lucas Wehner, Leiter des International & Mobility Office der Internationalen Hochschule Liebenzell Kein Platz für Ausbeutung
RkJQdWJsaXNoZXIy Mzg4OTA=